Ohne energetische Sanierung droht vielen Bestandsgebäuden der vorzeitige Wertverlust. Mit welchen konkreten Strategien Betreiber dem entgegenwirken können, schildern Philipp Schedler, Senior Sustainability Manager bei Art-Invest Real Estate Funds, und die freiberufliche Autorin Dr. Kerstin Burmeister.
Die klimabezogenen Risiken im Zusammenhang mit der fortschreitenden Erderwärmung beeinflussen auch die Bau- und Immobilienwirtschaft stark. Physische Risiken wie Extremwetterereignisse, Hitzewellen, Überschwemmungen oder steigende Durchschnittstemperaturen und Meeresspiegel bedrohen Menschen, Infrastruktur sowie die Wirtschaft unmittelbar. Darüber hinaus entstehen im Zuge der Transformation hin zu einer dekarbonisierten Wirtschaft transitorische Risiken. Beispiele bilden die regulatorischen Vorgaben für den Gebäudesektor auf EU- und Länderebene, aber auch Änderungen des Mieterverhaltens.
All diese Risiken müssen die Betreiber von Immobilien berücksichtigen und steuern. Bei ohnehin gestiegenen Beschaffungskosten kommt andernfalls gerade beim unsanierten Bestand eine Kostenlawine auf sie zu: steigende Versicherungsprämien und signifikant erhöhte Energiekosten durch die CO2-Bepreisung. Ältere Gebäude lassen sich unter Umständen gar nicht mehr vermieten. Dieses hohe Vermarktungs- und Vermietungsrisiko kann in einem vorzeitigen Wertverlust resultieren: Gebäude, die die vorgegebenen ESG-Grenzwerte und -Vorgaben verfehlen, wären vor Ende ihrer Nutzungsdauer abzuschreiben („Stranded Assets“).
Energetische Sanierung statt Abriss
Die Bau- und Immobilienwirtschaft zeichnet für etwa 40 Prozent der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich und weist einen massiven Sanierungstau auf. Aktuell liegt die Sanierungsquote in Europa bei nur einem Prozent. Bei Weitem am meisten Energie verbraucht der Bestand, auf den auch die höchsten THG-Emissionen entfallen. Hierin liegt auch ein Reputationsrisiko der Branche. Andererseits kann gerade die energetische Sanierung von Bestandsimmobilien wesentlich dazu beitragen, die Klimaziele im Gebäudebereich zu erreichen. Wird der gesamte Lebenszyklus betrachtet, ist es zudem ökologischer, Bestandsbauten zu erhalten und energetisch zu sanieren. Auch das Umweltbundesamt empfiehlt aufgrund der materialgebundenen CO2-Emissionen („Graue Energie“), die Revitalisierung einem Abriss vorzuziehen. Geplante Sanierungen leiden wie der Sektor insgesamt unter der unsicheren Verfügbarkeit von Ressourcen. Dies betrifft Energie, Wasser, aber auch diverse Baumaterialien vom Bausand bis zum Holz.
Der regulatorische Druck auf die Branche ist gewaltig: Die von der EU im Dezember 2021 vorgelegte überarbeitete Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD) beinhaltet einen Sanierungszwang für Bestandsgebäude, beginnend mit den Bauten mit den höchsten Energieverbräuchen („Worst first“). Auch fordert die EPBD unter anderem den Ausstieg aus fossilen Heizungssystemen sowie den Einstieg in die Lebenszyklusbetrachtung. Hinzu kommen Gesetze und Verordnungen auf Bundesebene, zum Beispiel das Gebäudeenergiegesetz (GEG) von 2020 sowie die Verordnungen zur CO2-Kostenaufteilung und zur Sicherung der Energieversorgung über mittelfristig wirksame Maßnahmen (EnSimiMaV) von September 2022.
Handlungsoptionen der Betreiber von Bestandsimmobilien
Ein Management der physischen und transitorischen Klimarisiken muss objektbezogene Risiken und Sanierungspotenziale zunächst identifizieren, um dann gegensteuern zu können. Grundlegende Aspekte dabei sind:
- Die gesetzlichen und politischen Rahmenbedingungen müssen analysiert und bewertet werden. Das Erfüllen von regulatorischen Anforderungen hinsichtlich Nachhaltigkeit und Taxonomie ist sicherzustellen.
- Risiken für klimabedingte Gefahren sind einzuschätzen; die CO2-Emissionen und die Energieeffizienz für unterschiedliche Szenarien über die globale Erwärmung zu berechnen. Verschiedene öffentlichen Datenbanken und Reports stellen die hierfür erforderlichen Daten zur Verfügung.
- Jedes Objekt gehört regelmäßig auf den Prüfstand gestellt. So lassen sich energetische Sanierungspotenziale sowie der optimale Zeitpunkt für ihre Realisierung identifizieren und ein maximal effizienter Gebäudebetrieb umsetzen. Auch werden so die Wirkungen von einzelnen Maßnahmen, zum Beispiel der Bezug von grünem Strom oder das Nutzen neuer Technologien zum effizienten Gebäudebetrieb, transparent. Daneben lassen sich auch die Fördertöpfe effizienter nutzen.
- Es wird eine Grundlage für Optimierungen, kontinuierliches Monitoring und Benchmarking der Gebäude benötigt. Diese entsteht, wenn der Betreiber alle Verbrauchsdaten im Gebäude systematisch erfasst und nutzt; Smart Meter-Technologie macht dies möglich. Gerade bisher oft ungenutzte Mieterdaten sorgen für jederzeitige Transparenz über die Verbräuche sowie quantifizierbare Einsparungen. Auch die Zusammenarbeit mit den Mietern über an Nachhaltigkeit ausgerichtete Mietverträge (Green Leases) sowie Mieterdialoge, die mögliche Verhaltensänderungen aufzeigen, haben sich bewährt. Dabei profitieren die Mieter von sinkenden Nebenkosten.
Analysetools wie CRREM und Smart Metering ermöglichen es Bestandshaltern auch, Kennzahlen (KPIs) zur Zieldefinition und Zielkontrolle der ergriffenen Maßnahmen festzulegen und zu beobachten: CO₂-Emissionen, Kennziffern zur Energieeffizienz, THG-Bilanz und Stranded-Asset-Zeitpunkt. Mit Hilfe der KPIs lässt sich der Umgang mit den Risiken zudem gegenüber Investoren und nachhaltigkeitsbezogenen Ratingorganisationen offenlegen, zum Beispiel in einem Nachhaltigkeitsbericht.
Praxisbeispiel: Den Stranded-Asset-Zeitpunkt verschieben
Ein anonymisiertes Objektbeispiel veranschaulicht im Folgenden ein mögliches Vorgehen, dabei wird sich in diesem Artikel aus Platzgründen auf energetische Maßnahmen beschränkt. Zusätzlich wurden diverse soziale Verbesserungen (zum Beispiel für eine erhöhte Aufenthaltsqualität) sowie weitere ökonomische und ökologische Maßnahmen (Mobilitätskonzept etc.) umgesetzt beziehungsweise sind projektiert.
Das Gebäude wurde 2022 als Einzelhandels- und Bürogebäude genutzt. Die beheizte beziehungsweise gekühlte Nettogrundfläche beträgt etwa 9.400 Quadratmeter. Für das Objekt lagen ursprünglich keine Verbrauchsdaten vor, weshalb sie geschätzt wurden. Betrachtet wurden Heizung und Warmwasser sowie der Gemeinschaftsstrombedarf für Lüftung, Kühlung, Beleuchtung und Nutzerstrom.
Zur Risikoanalyse und Berechnung verschiedener Szenarien diente der Carbon Risk Real Estate Monitor (CRREM). Dieser berechnet auf die Nutzung und das jeweilige Land zugeschnittene Dekarbonisierungspfade. Verläuft die CO2-Emission einer Immobilie oberhalb des errechneten CRREM-Pfades, steigt ihr Vermietungs- und Vermarktungsrisiko ohne Gegenmaßnahmen in wenigen Jahren deutlich an.
Der Ist-Zustand des Gebäudes wurde per Software in den CRREM-Pfad eingeordnet. So wurden die Auswirkungen von Maßnahmen bezogen auf Gebäudehülle und Wärmeversorgung, die Umstellung der Beleuchtung auf LED oder PV-Installation auf den CRREM-Pfad sichtbar. Klimarisiken konnten damit identifiziert und Stranded-Asset-Zeitpunkte abgeleitet werden. Maßnahmen, die darauf abzielen, den frühzeitigen Wertverlust der Immobilie möglichst ganz zu vermeiden, ihn aber zumindest lange hinauszuschieben, ließen sich so planen, simulieren und per Dashboard visualisieren. Auch Investitionskosten (CapEx) und Aufwendungen für die Betriebskosten (OpEx) der Sanierungsmaßnahmen sowie die während des gesamten Lebenszyklus der Immobilie entstehenden Treibhausgasemissionen (Embodied Carbon) berechnet die Software. So unterstützt sie die Entscheidung zwischen Neubau und Sanierung durch eine aussagekräftige Ökobilanzierung. Des Weiteren dient ein digitales Gebäudemodell als Basis für eine kontinuierliche Analyse der Dekarbonisierungspotenziale.
Hinsichtlich der Endenergieeffizienz lag das Objekt bereits nah an seinem CRREM-Zielpfad, der ohne Maßnahmen – bezogen auf 1,5 Grad durchschnittliche Erderwärmung – bereits 2023 überschritten worden wäre und ab 2027 für den Zwei-Grad-Zielpfad.
Bezogen auf CO2 sah es besser aus, da das Objekt Fernwärme nutzt, die einen guten Emissionsfaktor aufweist. Hinsichtlich der CO2-Emissionen lag das Gebäude daher unter dem CRREM-Zielpfad (bis 2036 bezogen auf das 1,5°C-Ziel und bis 2041 für den 2°C-Zielpfad), hier lag kein „Stranded Asset“-Risiko vor. Die EU-Emissionsziele wären ohne Sanierung für 2030 eingehalten worden, nicht aber für das Jahr 2050.
Folgende Energieeffizienz-Sanierungen wurden vorgeschlagen beziehungsweise werden durchgeführt:
- Optimierung der Gebäudehülle: Fenster mit Sonnenschutzverglasung im Erdgeschoss und im 1. Obergeschoss; Kunststofffenster mit dreifach-Verglasung und Dreh-Kipp-Beschlag an jedem Flügel im 2. und 3. Obergeschoss.
- Dachsanierung: Beim Hauptdach wird der Dachaufbau ausgetauscht, Dachabdichtung und Dachdämmung werden erneuert, die Dachflächen begrünt.
- Dämmung der Kellerdecke.
- Ergänzend ist eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung sowie die Dämmung der gesamten Wasser- und Heizleitungen im Gebäude vorgesehen.
Diese Maßnahmen zusammen reduzieren den Wärmebedarf des Gebäudes um 37 Prozent.
Der Strombedarf für die Beleuchtung konnte durch Installation einer Niedrigenergiebeleuchtung (LED) mit intelligenter Steuerung durch Präsenzmelder und Tageslichtverknüpfung um die Hälfte gesenkt werden. Eine PV-Anlage reduziert den Strombedarf durch Eigennutzung um 36 Prozent. Unterstützend animieren Mieter-Programme zu Verhaltensänderungen, sodass die Emissionen des Gebäudes beachtlich sinken.
Bei diesen und anderen Sanierungsmaßnahmen wurde darauf geachtet, dass sie den technischen Mindestanforderungen für Einzelmaßnahmen der „Bundesförderung für effiziente Gebäude“ (BEG) entsprechen.
Der Stranding-Zeitpunkt der Immobilie wird durch die Energieeffizienzsteigerungen um zehn Jahre hinausgeschoben. Bis 2033 (im Szenario einer Erderwärmung um 2°C bis 2037) besteht hier kein „Stranded Asset“-Risiko mehr. Die reduzierten Emissionen verbesserten den Verlauf des CRREM-Pfades so, dass er bis 2042 unter dem Zielpfad für eine 1,5-Grad-Erwärmung liegt (bei einer Erderwärmung um 2°C bis 2047). Dies verschiebt den Stranding-Zeitpunkt um weitere sechs Jahre. Nach Durchführung aller vorgesehenen Maßnahmen liegt der Stranding-Zeitpunkt sogar mehr als 20 Jahre in der Zukunft.
Den Wert erhalten
Die ohnehin stark fragmentierte Immobilienbranche sollte auch beim Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken perspektivisch weg von Einzelmaßnahmen hin zur Entwicklung von Standards für Projektentwicklungen und Bestandsimmobilien kommen. Die von der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft benötigten standardisierten Verfahren und Tools zur Risikoidentifizierung, -analyse und -bewertung stehen bereits zur Verfügung. Diese unterstützen sie bei Entscheidungen zur Objektauswahl, Projektentwicklung und Investitionen. So kann die Branche wirksam zur Erreichung der Klimaziele beitragen und gleichzeitig den Wert ihrer Bestandsimmobilien erhalten, indem diese in nachhaltige und taxonomiekonforme Objekte umgewandelt werden.
Ein Beitrag von Philipp Schedler, Senior Sustainability Manager bei der Art-Invest Real Estate Funds GmbH und Dr. Kerstin Burmeister, freiberufliche Redakteurin mit einem Schwerpunkt auf der Bau- und Immobilienwirtschaft.