Zukunftsaufgabe Diversität: Unternehmen wissen, dass sie mehr auf die Mischung nach Geschlecht, Herkunft, sexueller Orientierung und weiteren Faktoren achten müssen. Und packen das Thema auf unterschiedliche Weise an. Von Roswitha Loibl
Diversität bedeutet Dilemma. Einerseits sollen alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Alter, körperlichen Eigenschaften und vielem mehr gleiche Chancen haben. Andererseits lässt sich das nur erreichen, wenn genau diese Eigenschaften eine Rolle spielen. Schubladen erstellen, um das Schubladendenken zu überwinden?
Wie auch immer man es betrachtet: Mehr Diversität ist das Gebot der Stunde und der kommenden Jahre. In der Immobilienbranche haben sich zahlreiche Unternehmen auf den Weg dorthin gemacht. Die Suche nach Vorbildern in der Immobilienbranche führt zunächst zu den Unterzeichnern der „Charta der Vielfalt“. Sie listet fast 120 Unternehmen auf, die mit Immobilien zu tun haben.
Frauenmangel in Führungspositionen
Am augenfälligsten ist nach wie vor der Frauenmangel in Führungspositionen. Im Top-Management ist nur etwa jede zehnte Position weiblich besetzt, so eine kürzlich publizierte Studie des Vereins Frauen in der Immobilienwirtschaft (Immofrauen). Höher liegt die Quote im Facility-Management mit 16 Prozent, niedriger in Architektur- und Ingenieurbüros mit acht Prozent.
Viele Unternehmen haben sich auf den Weg gemacht, um dies zu verändern. Headhunter wie Monika Trabzadah, Senior Consultant bei Westwind Karriere, berichtet von gezielten Mandantenaufträgen. „Im Asset-Management und der Finanzierung ist es leichter, Frauen zu finden als in der Projektentwicklung und der Baubranche“, berichtet sie, was vor allem daran liege, dass Kandidatinnen, die eine entsprechende Ausbildung vorweisen können und dem Aufgaben- und Anforderungsprofil entsprechen, immer noch sehr selten sind. Hier müsse auch zukünftig viel getan werden, um junge Frauen für die Berufsfelder der Immobilienwirtschaft zu begeistern und die Branche weiter attraktiv zu machen. Immerhin sind nach den Zahlen der Immofrauen 45 Prozent der Absolventen immobilienwirtschaftlich relevanter Studiengänge weiblich.
„Es darf kein Gender Pay Gap mehr geben“
Was können Arbeitgeber tun, um Kandidatinnen für sich zu gewinnen? „Es geht nicht nur um flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit zum Homeoffice“, sagt Trabzadah und fügt an: „Es darf auch kein Gender Pay Gap mehr geben.“ Zu einer Frauenquote meint sie: „Sie ist sehr umstritten, aber vielleicht führt kein Weg daran vorbei.“
„Unternehmen müssen sich konkrete Ziele setzen, mit realistischen Zielgrößen und Zeitrahmen, in denen sie umgesetzt werden“, sagt Anne Tischer, Vorsitzende der Initiative Frauen in Führung. Ebenso wichtig sei ein regelmäßiges Monitoring. Maßnahmen wie Mentoring „sind sinnvoll, aber erst der nächste Schritt“. Es komme zudem darauf an, dass sich das Top-Management und nicht nur die Human-Resources-Abteilung das Thema zu eigen mache. Die momentan 27 Mitgliedsunternehmen von Frauen in Führung sind dabei, eine Selbstverpflichtungserklärung zu entwerfen, um zu zeigen, dass sie vorangehen.
Drei Ziele umfasst die Unternehmensstrategie des Baudienstleisters ISG für die kommenden drei Jahre – und eines davon ist die Diversität. Ein Baustein dabei ist der Aufbau von Frauen-Netzwerken über alle Länder und Hierarchieebenen hinweg, die es im Stammland Großbritannien bereits gibt. Das ist jedoch nicht der einzige Grund, weshalb Gulistan Baghistani-Berse, Head of Supply Chain Management bei ISG Deutschland, zuversichtlich ist, dass sich Diversität in Unternehmen durchsetzen wird.
In ihrer Funktion hat sie viel mit anderen Unternehmen jeglicher Größe zu tun und stellt sie fest: „Sie überlegen sich Strategien für mehr Vielfalt, gerade auch unter dem Zeichen von ESG.“ Dabei geht es nicht nur um das Geschlecht, sondern auch das Alter und die Herkunft.
„So stellt man keine Chancengleichheit her“
Baghistani-Berse trägt ihren Teil zur Vielfalt bei: Mit 14 Jahren kam sie mit ihrer Familie aus dem irakischen Teil Kurdistans nach Deutschland. In der Schule meinte man, ihr etwas Gutes zu tun, indem man ihr zu einer Lehre nach dem Hauptschulabschluss riet. „Ich wollte aber studieren“, berichtet sie, die schließlich beim Studienabschluss zu den besten zehn Prozent ihres Jahrgangs zählte. Diese selektive Wahrnehmung im Schulsystem, die Aufteilung der Kinder nach dem vierten Schuljahr, sei ein Problem: „So stellt man keine Chancengleichheit her.“ Doch genau die Bildung ist die Basis für den späteren beruflichen Erfolg.
Es gibt bewusste und unbewusste Vorurteile, stellt Gulistan Baghistani-Berse klar, aber man müsse sie reflektieren und sich zum Beispiel fragen: „Warum stelle ich jemanden ein?“. Dazu gehört auch, die eigene Blase zu verlassen, was sie zum Beispiel bei Baustellenbesuchen macht. „Wir als ISG agieren als Brücke zwischen unseren Kunden, die vornehmlich aus globalen Tech-Unternehmen bestehen, und unseren Geschäftspartnern, die überwiegend familiengeführte deutsche Handwerksunternehmen sind. Dazu gehört es auch, auf der Baustelle offen miteinander zu sprechen, um die unterschiedlichen (Unternehmens-) Kulturen und Vorstellungen zu erkennen und einander näher zu bringen.“
Mitunter geht es aber gar nicht um die Kultur bei Kandidaten, die nicht aus Deutschland stammen, sondern um juristisches Fachwissen, wie Monika Trabzadah berichtet. Eine Einstellung „kann auch daran scheitern, dass sie keine Kenntnisse der HOAI und der VOB mitbringen“, obwohl die Bewerber bereits „tolle Projekte im Ausland“ geleitet haben. Ihr Rat lautet: Unternehmen sollen Weiterbildungen anbieten.
Diversität als Wettbewerbsfaktor
Cem Ergüneys Kunden interessieren sich nicht nur dafür, welche Immobilien er in seinem Portfolio hat, sondern auch, wer die Menschen sind, die im Hause Colliers arbeiten. „Sie fragen nach, wie es mit der Diversität in unserem Unternehmen aussieht“, beobachtet der Leiter Office Letting bei Colliers NRW seit etwa zwei Jahren.
Diese Frage stellen nicht nur internationale Investoren, sondern auch deutsche Pensionsfonds und andere Institutionelle. „Gerade Investoren aus London, Paris oder den USA sind da in ihren eigenen Häusern oft weiter als wir in Deutschland“, hat Ergüney festgestellt und weist darauf hin, dass Diversität zum Faktor S in ESG zählt – „und das ist gut so.“ Gleichzeitig entwickelt sie sich zum Standort- und Wettbewerbsfaktor. Daher formuliert er eine Sorge: „Reicht die Geschwindigkeit des Wandels?“
Bewusstsein über eigenes Schubladendenken
Bei Colliers steht das Thema Diversität sowohl auf globaler als auch auf EMEA-Ebene sowie lokal im Fokus. Ob Förderprogramme oder Workshops für den Perspektivwechsel, es geht darum, sich des eigenen Schubladendenkens bewusst zu werden und als Führungskraft Vielseitigkeit zu fördern. Ziel ist es, Diversität in verschiedenen Prozessen zu verankern – von der Rekrutierung über die Besetzung von Projekten bis hin zu Beförderungen. „Wir haben zum Beispiel eine Anlaufstelle, an die sich Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Notsituationen wenden können“, berichtet Ergüney. Dabei geht es nicht nur um Kinderbetreuung, sondern beispielsweise auch um die Versorgung von Angehörigen.
Die Diversität auf den Führungsebenen lässt sich allerdings nicht kurzfristig erreichen, sondern sie erfordert Zeit. Schließlich soll niemand bevorzugt werden, nur weil er einen bestimmten Quotenaspekt erfüllt. Als Deutscher mit einem türkischen Elternhaus weiß er, wovon er spricht, und fügt einen weiteren Aspekt an: „Das wollen auch starke Frauen nicht.“ Bei Colliers ist die Diversität auf Entscheider-Ebene daher ein Bestandteil der Zukunftsstrategie.
Auch die sexuelle Orientierung ist ein Diversitäts-Faktor, an dem noch gearbeitet wird. Initiativen wie „Prout at Work“ oder „Uhlala“ zählen zurzeit keine Immobilienunternehmen zu ihren Mitgliedern. Aber zwei Beraterhäuser unterstützen eigene Netzwerke: Bei JLL heißt es „Building Pride“, beim Mutterkonzern von BNP Paribas Real Estate gibt es das „Pride Real Estate Network“. Spielt die LGBT-Thematik in Unternehmen eine Rolle? Dr. Jürgen Erbach, Professor für Immobilienwirtschaft an der HAWK in Holzminden und mit einem Mann verheiratet, fallen keine Beispiele ein. Er meint: „Homosexuelle in Unternehmen bewegen sich heute unter der Wahrnehmungsgrenze, sie sind dort nicht identifizierbar.“
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