Mit einer neu gegründeten Initiative fordern Wissenschaftler einen Kurswechsel in der Klimapolitik des Gebäudesektors – auch der GDW ist beigetreten.
Renommierte Wissenschaftler aus den Bereichen Architektur und Ingenieurwesen haben am 14. November in Berlin ihr Manifest für eine nachhaltige, kosteneffiziente und sozial verträgliche Klimapolitik im Gebäudesektor vorgestellt. Darin kritisieren sie die seit vielen Jahren einseitige Fokussierung auf immer höhere Energieeffizienzstandards und fordern einen politischen Richtungswechsel.
„Die historisch gewachsene, alleinige Fokussierung auf Energieeinsparung im Gebäudesektor ist gescheitert! Nur ein Paradigmenwechsel im Klimaschutz bei Gebäuden auf einen Praxispfad, der die Reduzierung von Treibhausgasemissionen ins Zentrum unseres Handelns rückt, ist finanzierbar, stellt die Erreichung der Klimaschutzziele sicher und gewährleistet bezahlbares Wohnen“, so die Autorinnen und Autoren.
Das Manifest ist Gründungsdokument der „Initiative Praxispfad CO 2 -Reduktion im Gebäudesektor“. Ziel der Initiative ist es, einen breiten Diskurs in der Öffentlichkeit zu organisieren. Die Initiatoren fordern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Akteurinnen und Akteure aus Wirtschaft und Politik dazu auf, der Initiative beizutreten.
Die Initiative definiert fünf Kernpunkte für klimapolitisches Handeln. Demnach soll die Wärmeversorgung möglichst schnell auf emissionsfreie Energieträger umgestellt und von kostspieligen Sanierungstiefen der Gebäudehülle (Heizwärmebedarf unter 75 kWh/(m2a)) Abstand genommen werden. Etwa zwei Drittel aller Mehrfamilienhäuser sind bereits teilsaniert oder wurden nach Einführung der Energieeinspar-Verordnung (EnEV 2002) gebaut. Diese Gebäude sind in der Regel niedertemperaturfähig und damit für den Einsatz von Wärmepumpen geeignet.
Die oft zu hörende Meinung, dass vor dem Einbau einer Wärmepumpe die Heizkörper ausgetauscht werden müssen oder eine Fußbodenheizung eingebaut werden muss, ist eine Fehleinschätzung, wie umgesetzte Beispiele zeigen. Darüber hinaus soll die politische Regulierung stark vereinfacht und auf einen CO2-Emissionsreduktionspfad abgestellt sowie der Erhalt von Bestandsgebäuden gefördert werden.
Warum die derzeitige Strategie im Gebäudesektor gescheitert ist

Im Manifest fassen die Wissenschaftler ihre in jahrelanger Forschung erlangten Erkenntnisse zusammen. Sie unterstreichen, dass ein stärkerer Fokus auf CO 2 -Reduktion – und nicht allein auf Energieeinsparung – das Ziel der Klimaneutralität bei gleichzeitig bezahlbarem Wohnen erreichbar machen kann. „Mit unserem ‚Praxispfad CO2-Reduktion‘ senken wir die im Vergleich zum heutigen Szenario benötigten Fördermittel um fast zwei Drittel, von jährlich 50 auf 18 Milliarden Euro. Damit zeichnen wir ein realistisches Szenario für die Erreichung der Klimaziele im Gebäudesektor, weil mit unserem Weg die knappen Ressourcen im Finanzbereich, aber auch im Bausektor sinnvoller eingesetzt werden“, sagt Professor Dr.-Ing. Manfred Norbert Fisch, einer der fünf Gründer der Initiative.
Zudem werden mit dem Ansatz der Initiative auch die Treibhausgasemissionen berücksichtigt, die durch den Bau der Bestandsgebäude bereits entstanden sind, beziehungsweise jene, die durch Neubau noch entstehen würden. Gefordert wird ein angemessener Preis für CO2-Emissionen, um den Weg zur Erreichung des Klimaziels realistischer planen und sozial gerechter gestalten zu können.

Die aktuellen Ansätze, die sich auf maximale Energieeffizienz und umfassende Sanierungsmaßnahmen stützten, seien weder finanzierbar noch klimawirksam genug, folgert das Manifest der Wissenschaftler. „Was wir benötigen, ist kein blindes Streben nach höchster Energieeffizienz, sondern eine praxisorientierte Politik, die auf die Senkung der Treibhausgasemissionen abzielt“, sagt Professor Elisabeth Endres, Gründerin der Initiative.
Haushaltskrise als Katalysator für dringend notwendige Reformen
Vor dem Hintergrund der aktuellen Haushaltsdebatten und der gescheiterten Ampel-Koalition wird eine Kurskorrektur umso dringlicher. Die bisherigen Förderansätze übersteigen die finanzielle Belastungsgrenze des Bundeshaushalts bei weitem, so die Wissenschaftler.
Die Wissenschaftler rufen insbesondere die Entscheidungsträger in der Politik dazu auf, die Klimapolitik für den Gebäudebereich von Grund auf zu überdenken und sie auf realistische, erreichbare CO 2 -Reduktionsziele auszurichten – und nicht den Weg durch einen Dschungel von Gesetzen und Verordnungen dahin vorzuschreiben. In Anbetracht der gescheiterten Regierung und der drängenden Haushaltsprobleme seien die klimapolitischen Maßnahmen in den kommenden Monaten von entscheidender Bedeutung.
GDW tritt Initiative bei
Angesichts der Dinglichkeit des Themas für die Wohnungswirtschaft tritt auch der GDW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen der Initiative bei. Er fordert die politischen Entscheidungsträger auf, die kommenden Neuwahlen als Chance für einen neuen Ansatz zu nutzen. „Ein Kurswechsel in der Klimapolitik ist zwingend notwendig, um eine ökonomisch machbare, sozial gerechte und ökologische Wende im Gebäudesektor zu schaffen“, so GDW-Präsident Axel Gedaschko. „Es gilt, praxisorientierte Lösungen zu fördern, die die Klimaziele erreichbar machen und die sozialen Belastungen für Mieter und Vermieter in Grenzen halten.“
Die fünf Kernforderungen im Überblick
Die Initiative „Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor“ hat fünf Kernforderungen definiert, um einen Paradigmenwechsel für mehr Klimaschutz anzustoßen:
- Emissionsfreie Wärmeversorgung: Fossile Energieträger müssen zügig durch emissionsarme Technologien wie Wärmepumpen und die Nutzung industrieller Abwärme ersetzt werden. Der Ausbau erneuerbarer Energien auf Quartiersebene wird hierbei priorisiert wie bilanzielle Ansätze auf der Ebene von Gebäudeflotten und Quartieren im Allgemeinen und hier insbesondere die gebäudeübergreifende bilanzierbare Nutzung von Solarenergie.
- Maßvolle Sanierung: Statt kostspieliger überzogener Sanierungstiefen fordern die Experten eine Sanierung, die sich an der Lebensdauer der Bauteile orientiert und unnötige Kosten vermeidet.
- Effiziente Wärmepumpen-Nutzung: Moderne Wärmepumpen sind bereits für teilsanierte (ab EnEV 2002) oder moderat sanierte Gebäude geeignet, was den Sanierungsdruck mindert und trotzdem eine klimaschonende Wärmeversorgung ermöglicht.
- Einführung eines Emissionsminderungspfads: Statt unübersichtlicher Regelungen plädieren die Wissenschaftler für einen verbindlichen Emissionsminderungspfad bis 2045, der klare Reduktionsziele für Gebäudeemissionen setzt und durch eine unabhängige Emissionsagentur überwacht wird.
- Förderung von Bestandserhalt und Kreislaufwirtschaft: Neubauten sollen strengen Emissionsgrenzen entsprechen, während der Erhalt bestehender Gebäude die Nutzung grauer Energie maximiert und Abfall reduziert.
Die Gründerin und Gründer der Initiative
Die Gründerin und Gründer der Initiative Praxispfad CO2-Reduktion im Gebäudesektor appellieren an alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ihrem und angrenzenden Forschungsbereichen: „Führen Sie aktiv den Diskurs mit uns und der Öffentlichkeit. Lassen Sie uns gemeinsam für den besten Weg streiten. Wir sind überzeugt, dass wir konstruktive Vorschläge für das Erreichen der Klimaziele im Gebäudesektor in Deutschland vorgelegt haben, mit denen wir unsere Zukunft in Deutschland besser gestalten können.“ Zu den fünf Initiatoren zählen:
Professor Elisabeth Endres, Professorin an der Fakultät Architektur, Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften der TU Braunschweig; Leiterin des Instituts für Bauklimatik und Energie der Architektur, TU Braunschweig, Mitglied der Geschäftsführung des Ingenieurbüros Hausladen. Sie ist Architektin und bekannt für ihre Arbeit an nachhaltigen und innovativen Energie- und Gebäudekonzepten, insbesondere im Diskurs von Architektur und technischen Systemen mit Fokus der Vereinfachung im Bauwesen.

Professor Dr. Dr. E.h. Dr. h.c. Werner Sobek, em. Professor an der Universität Stuttgart, Gründer des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK), Stuttgart; Ehem. Mies van der Rohe Professor am Illinois Institute of Technology, Chicago. Er ist Gründer eines global tätigen Planungsbüros und erhielt zahlreiche Auszeichnungen für seine Beiträge zur Bau- und Ingenieurwissenschaft; Mitbegründer und ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). 2023 wurde Sobek für sein Lebenswerk mit dem immobilienmanager-Award ausgezeichnet.
Professor Dr.-Ing. Manfred Norbert Fisch, em. Professor der Fakultät Architektur der TU Braunschweig und ehem. Leiter des Instituts für Gebäude- und Solartechnik (IGS) der Fakultät Architektur, Bauingenieurwesen und Umwelttechnik; Leiter des Forschungsinstituts SIZ-energieplus, Braunschweig / Stuttgart; Gründer und Geschäftsführer der Ingenieurgesellschaft EGS-plan, Stuttgart; Initiator und Entwickler des Forschungsvorhabens „Klimaneutrales Stadtquartier – Neue Weststadt Esslingen”. Er ist spezialisiert auf ganzheitliche Energiekonzepte für Gebäude und Quartiere, die technische Nutzung der Solarenergie sowie die Produktion von grünem Wasserstoff. Er hat zahlreiche Auszeichnungen im Bereich der Bauphysik, Gebäude- und Solartechnik erhalten.

Professor Dipl.-Ing. Dietmar Walberg, Honorarprofessor an der Technischen Hochschule Lübeck, Leiter des Fachgebiets Nachhaltiger Wohnungsbau am dortigen Fachbereich Bauwesen. Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. (ARGE//eV). Er ist Experte für Baukostensenkung und Klimaneutralität im Wohnbau mit umfassender Beratungstätigkeit für öffentliche Bauvorhaben.
Professor Dirk Hebel, Professor für Nachhaltiges Bauen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Karlsruhe; Vize-Dekan für strategische Weiterentwicklung der Fakultät für Architektur, KIT Karlsruhe; Zuvor lehrte und forschte er in Äthiopien, Singapur, den USA und der Schweiz. Er ist Mitbegründer und Partner von 2hs Architekten und praktiziert Architektur mit einem Fokus auf ressourcengerechtes Bauen und kreislaufgerechten Materialeinsatz.