Der stockende Gründungseifer, das sinkende Investmentvolumen und die Konsolidierung des Marktes zeigen deutlich auf: Der Proptech-Boom ist vorbei. 30 Prozent der aktuell rund 800 Proptechs in Deutschland sind maximal vier Jahre alt und haben ihre Marktreife noch nicht bewiesen. Aufgrund des Open-Source-Prinzips geht es nicht mehr um technologische Expertise, um sich etablieren zu können. Vielmehr gilt: Nur wer die Branche intensiv kennt, kann erfolgreich sein. Der damit verbundene Wechsel vom „Proof of Concept“ zum „Proof of Value“ hat weitreichende Konsequenzen sowohl für Gründer als auch für Investoren. Ein Kommentar von Dr. Dominique Hoffmann
Nach erfolgsverwöhnten Jahren ist die Immobilienwirtschaft nun definitiv im Schrumpfzyklus angekommen. Die Nachrichten insolventer Entwickler häufen sich, die Immobilienquoten der institutionellen Investoren reduzieren sich kontinuierlich, sinkende Bauvolumina bundesweit sorgen für steigende Mieten. Die Gleichung Krisenzeit als Innovationszeit ist derweilen noch nicht spürbar. Tatsächlich bringen der Zinswechsel und die sinkende Investmentbereitschaft in der Branche Proptechs in finanzielle Schwierigkeiten. 72 Unternehmen leiden laut Blackprint aktuell unter Zahlungsnöten, seit 2013 sind bereits 35 Proptechs wieder vom Markt verschwunden. Die abwartende Haltung der Finanziers betrifft nicht nur die Immobilienbranche. Weltweit sank das Venture-Capital-Volumen nach dem Rekordjahr 2021 im vergangenen Jahr um über 30 Prozent. Der Trend setzt sich nach Angaben von EY fort. Für den US-Markt ermittelte das Beratungsunternehmen im zweiten Quartal 2023 einen Rückgang des Anlagevolumens von 34 Prozent gegenüber dem Vorquartal.
Welche Auswirkungen haben die sinkenden Finanzierungssummen auf den deutschen Proptech-Markt? Die Neugründungen werden aller Voraussicht nach auch in den kommenden Jahren zurückgehen, auch wenn das erste Halbjahr 2023 mit 70 Neugründungen noch in den alten Marktzyklus hineinreicht. Schon jetzt konstatiert Blackprint im aktuellen Bericht eine sinkende Investment-Bereitschaft für Seed-Finanzierungen. Die Gesamtzahl von derzeit rund 800 Proptechs in Deutschland wird mittelfristig sinken. Denn für die Unternehmen in der Etablierungsphase wird das Finanzierungsumfeld bei noch unbewiesener Marktreife ihres Produkts kompliziert.
Rund 250 Proptechs sind in den vergangenen vier Jahren gegründet worden. Sofern sie bei steigendem Kostendruck in der Branche nicht kurzfristig die Beständigkeit von Produkt und Unternehmen absichern können, werden sie vom Markt verschwinden. Denn nicht nur die Venture-Capital-Geber rücken von der kriselnden Immobilienbranche ab und allokieren in prosperierende Wirtschaftszweige wie dem Gesundheitssektor. Auch die Immobilienunternehmen selbst als Proptech-Investoren werden nur dort Geld ausgeben, wo ein konkreter Mehrwert – eine Kostenreduzierung und Effizienzsteigerung – für ihre Geschäftsprozesse zu erwarten ist.
Anbieter und Anwender machen es sich gegenseitig schwer
Der Wechsel in den Immobilienunternehmen vom Proptech, mit dem man sich zur Reputationsmehrung schmückte, hin zu gezielten Investments in Bedarfslösungen zeigt sich bereits im Markt. Rund jeder fünfte Euro der Proptech-Investments floss 2022 in ESG-Software. Die Zusammenstellung der Daten und ihre Bereinigung gemäß den Reporting-Anforderungen der EU-Taxonomie stellt eine aktuelle Hauptaufgabe der gesamten Branche dar. Hierbei ist der Rückgriff auf Software aufgrund der großen Datenmengen und ihrer komplexen Zusammenführung durch verschiedene Abteilungen und Dienstleister geboten und nicht optional. Der Erwerb einer Software-Lizenz ist jedoch noch weit entfernt von einer direkten Beteiligung am Proptech.
Hier zeigt sich die größte Crux der Proptech-Anbieter: Die flächendeckende Anwendung einer funktionstüchtigen Software zieht sich mittlerweile über Jahre hin. Verantwortlich hierfür sind die PropTechs selbst, die ihre Versprechen im Marketing-Hype der vergangenen Jahre nicht halten konnten. Doch auch die Anwender sorgen für zunehmend komplexere Implementierungsprozesse, da sich überzogene Erwartungen an das Produkt mit dem Wunsch individueller Konfigurationen kombinieren. Gerade die Sonderwünsche der anwendenden Unternehmen stellen einen Kostentreiber für die Proptechs dar, die sich allzu sehr nach der Skalierbarkeit ihres Produkts sehnen.
„Proof of Value“ als neue Maßgabe
In dieser neuen Marktsituation fokussieren sich die Immobilienunternehmen logischerweise auf die Wertigkeit der Proptechs. Das Produkt ist erst dann wirklich etabliert, wenn sich das Unternehmen etabliert hat. In dieser Hinsicht werden Proptechs, die bereits mehrere Finanzierungsrunden überstanden und ihren „Proof of Value“ bewiesen haben, ein interessantes Investment für etablierte Branchenakteure. Denn nur diese Proptechs haben sowohl ein skalierbares Produkt als auch eine Unternehmensführung mit Branchenkenntnis aufzuweisen. Ihr Wachstum sichert sich ab durch diverse Use Cases und das Wissen um die Bedürfnisse der Immobilienunternehmen.
Für Gründer hingegen wird der Markt rauer, gleichwohl jedoch nicht unzugänglich. Die Gründerfigur wird sich aber ändern. Denn wo Programmiercodes auf einem Open-Source-Prinzip beruhen, braucht es keinen „Techie“ mehr. Ein unabdingbarer Erfolgsfaktor hingegen ist die Branchenkenntnis. Denn das neue Proptech-Produkt muss einem konkreten, kostenreduzierenden Bedürfnis entsprechen und in der heterogenen Digitallandschaft der Unternehmen gut implementierbar sein. Die neue Proptech-Gründergeneration besteht folglich nicht mehr aus smarten Uni-Absolventen, sondern zunehmend aus erfahrenen Branchenexperten.