Wie können Projektentwickler die aktuelle Krise überstehen? Wir sprachen mit Lutz Keßels, Geschäftsführer der Quartier Am Humboldthain GmbH.
Herr Keßels, Start des Coros-Projekts „Quartier Am Humboldthain“ war Mitte 2020. Inwieweit merken Sie Zinswende, Inflation, Krieg und die Nachwirkungen von Corona?
Das sind gleich mehrere disruptive Faktoren, und die Liste ließe sich durchaus verlängern. Denken wir an Digitalisierung, autonome Mobilität und Künstliche Intelligenz, um nur einige Faktoren zu nennen, die uns in den kommenden Jahren beschäftigen werden. Die niedrigen Zinsen haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass sehr viele Projekte sehr schnell gedreht wurden, der Markt ging von immer weiter steigenden Werten aus. Daran haben sich die Marktteilnehmer gewöhnt. Die Baukosten sind aufgrund der Nachfrage gestiegen, auch das hat die Branche akzeptiert. Umso schmerzvoller war der abrupte Stopp im dritten Quartal 2022. Der Transaktionsmarkt kam zum Erliegen, und niemand kann ernsthaft sagen, wie lange die Neujustierung dauern wird. Es wird bei allen Teilnehmern Veränderungen geben, dazu gehören auch niedrigere Margen bei Entwicklern und Bauunternehmen.

Wäre ein solches Projekt vom Start weg heute überhaupt möglich, und wenn ja, was wäre anders?
Das ist immer eine Frage der Attraktivität der Lage, der Nachfrage und des Einstandspreises, daher würde ich sagen: grundsätzlich auf jeden Fall! Wir befinden uns aktuell in einem B-Plan-Verfahren und können die Zeit nutzen, um unser Produkt zukunftsfähig zu entwickeln. Das ist nicht mit der Bauphase vergleichbar, für die man über hohe Investitionen entscheiden muss. Zudem ist unser Bestand aktuell noch vermietet. Dabei gilt: Ob ein Projekt rentabel sein wird, entscheidet sich weiterhin mit dem Kaufpreis. Für mich sind gerade heute Augenmaß und eine realistische Einschätzung der Risiken maßgeblich. Vor diesem Hintergrund ist es sicher ein Privileg, dass wir ein so spannendes Projekt zum richtigen Zeitpunkt angeboten bekommen haben.
Wie schätzen Sie die aktuellen Klimadebatte mit Blick auf Ihr Bauvorhaben ein, gibt es da konkrete Auswirkungen auf Ihre Planung?
Wenn man ein Stadtquartier wie das Quartier Am Humboldthain entwickelt, hat man einen langfristigen Horizont. Wir schauen heute darauf, was in zehn Jahren benötigt wird. Für uns wurde daher schnell klar: Wir müssen unsere Ansprüche an Nachhaltigkeit weitaus höher ansetzen, als das die aktuelle Regulatorik einfordert. Nur so können wir ein Projekt entwickeln, das in einem Jahrzehnt ein erfolgreiches und nachgefragtes Produkt sein wird.
Im Klartext bedeutet das: Wir haben bereits im Jahr 2020 über Geothermie nachgedacht, da war die aktuelle Debatte rund um das Thema Heizen noch nicht auf der politischen Agenda. Und wir werden im Quartier am Humboldthain das Thema Geothermie weiterverfolgen. Denn für uns steht fest: Was der Markt 2028 braucht, ist sehr viel mehr Nachhaltigkeit und Resilienz in den Städten aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels.
Werden wir in den kommenden Jahren einen Clash zwischen Neubau und Bestand erleben?
Die Nachfrage von nachhaltigen Büroflächen wird aufgrund der Regulatorik und den wachsenden Ansprüchen der Gesellschaft weiter steigen. In die Bestandsflächen wird man entsprechend investieren müssen, um gegenüber Neubauten wettbewerbsfähig zu bleiben. Auf Bestandsimmobilien kommt die Herausforderung zu, dass die Sanierungskosten für eine wirkliche CO2-Einsparung sehr hoch sind. Investitionen für eine erfolgreiche CO2-Sanierung im Bestand können kostspieliger werden als ein Neubau. Die Folgen dieser Entwicklung sehen wir bereits auf Investorenseite. Nicht wenige institutionelle Investoren konzentrieren sich inzwischen ausschließlich auf Neuentwicklungen, weil die hohen Anforderungen an Nachhaltigkeit anders kaum noch wirtschaftlich umsetzbar sind.
Welche konkreten Wünsche haben Sie an den Regulator?
Da gibt es ganz klar zwei große Themen: Politiker, die wenig Erfahrung mit Immobilien haben, sollten mehr mit der Branche sprechen. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Und zweitens sollte die regulatorische Seite koordinierter mit dem Input aus der Branche umgehen. Ein gutes Beispiel ist das Heizungsgesetz, das aktuell diskutiert wird: Die Idee ist gut und wichtig, aber ohne konkretes Wissen, welche Herausforderungen mit einem Heizungsgesetz einhergehen, kann man nicht erfolgreich kommunizieren. Und genau das ist auch geschehen: Das Heizungsgesetz wurde leider falsch kommuniziert. Das gilt entsprechend für das Thema Förderung. Wussten Sie, dass schon vor 20 Jahren eine Förderung für Wärmepumpen gab? Man hatte die Förderung für Neubauten abgeschafft, weil sich Wärmepumpen hier gegenüber Gasheizungen schon nach zehn Jahren amortisieren. Es ist bedauerlich, dass man den Menschen heute mit einer wirtschaftlichen Technologie Angst macht.
Nicht wenige in der Branche sagen, dass die aktuelle Krise Projektentwickler am härtesten treffen wird, zumal das Thema Nachhaltigkeit obendrauf kommt. Was können Entwickler tun, um diese schwere Zeit zu überstehen?
Da möchte ich zunächst einmal zwischen Wohnungsbau und Gewerbeimmobilien differenzieren. Mit Blick auf Gewerbeimmobilien ist es ein Irrtum, dass die Themen Energie und Nachhaltigkeit fremd wären für die Branche. Wir sind da viel weiter als andere Branchen, vor allem im Neubau. Ich erinnere nur an die IBA Berlin vor vierzig Jahren. Da haben wir bereits über Nullenergiehäuser gesprochen, das war Anfang der 1980er Jahre. Die jetzige Krise spiegelt hingegen den Helikopterblick. Die Regeln des Immobilienmarktes sind recht deutlich: Sind die Zinsen niedrig, gehen die Preise hoch, das gilt auch umgekehrt, wie wir aktuell beobachten können.
Diese Zyklen dauern in der Regel zwischen zehn und 15 Jahren, besonders überraschend ist also die derzeitige Entwicklung nicht. Was dieses Mal besonders ist, ist die Geschwindigkeit, mit der sich der Markt gedreht hat. Nachdem die Preise in der Vergangenheit stark gestiegen sind, sind nun die Zinsen innerhalb von 18 Monaten wieder auf dem Niveau von 2011 angekommen. Die Folge ist Stillstand am Markt. Dabei gilt: Wer vor fünf Jahren gekauft hat, ist noch lange nicht in der Verlustzone. Die Mechanismen, die jetzt greifen, sind daher keineswegs überraschend. Sie erfordern aber einen spitzen Bleistift und gute Planung. Konkret bedeutet das: Projektentwickler brauchen wieder einen Ankermieter und müssen mit offenem Visier und Schritt für Schritt bauen.
Sie sind seit 2006 in der Projektentwicklungs-Branche tätig, wie schätzen Sie die derzeitige Lage/Krise ein, wird sie beispielsweise die Branche nachhaltig verändern, weil es unter anderem viele Insolvenzen geben wird?
Für mich steht fest, dass es leider Insolvenzen geben wird, das wird sich nicht verhindern lassen. Viele Entwickler haben sich zu sehr auf die niedrigen Zinsen verlassen und Banken haben geringe Eigenkaptalquoten akzeptiert. Dabei waren Zinsen von einem Prozent und weniger alles andere als gesund, beispielsweise sind die Baukosten dadurch extrem gestiegen. Darauf zu setzen, dass ein solches Finanzierungsumfeld bestehen bleibt, widerspricht den Entwicklungszyklen. Dementsprechend waren Projekte, die sich nur dank der niedrigen Zinsen gerechnet haben, von Vornherein nicht nachhaltig kalkuliert. Aktuell können wir nur hoffen, dass die finanzierenden Banken weiterhin stabil bleiben.
Wie ist die Immobilienbranche in Deutschland im Gegensatz zu Europa und den globalen Märkten aufgestellt? Was halten Sie von der Aussage, dass das Thema hierzulande zu emotional diskutiert wird?
Stadtentwicklung und Bauen betrifft alle, und daher ist Emotionalität bei dem Thema für mich normal. Wir brauchen den Diskurs für die Akzeptanz unserer Branche heute mehr denn je. Im Vergleich zu anderen Ländern und Regionen muss man festhalten, dass in Deutschland die A-Städte weiterhin kein Problem haben. Wir haben an den Top-Standorten durchweg eine hohe Nachfrage und ein zu geringes Angebot. Für die Top 7 oder auch Top 10 erwarte ich daher, dass sich die Lage wieder einpendelt. Ein Grund dafür sind auch die Baukosten. Es macht keinen Unterschied, wo man baut. Ob in Brandenburg oder mitten in Berlin – die Baukosten sind überall gleich. Urbane Zentren und A-Städte sind im Wesentlichen auch Arbeitsmärkte und werden daher von ihrer wirtschaftlichen Robustheit profitieren, auch wenn es kurzfristig zu Abschlägen kommt.