Porträtfoto von Dr. Thomas Herr
Dr. Thomas Herr (Quelle: Volker Conradus)

Projekte 2025-07-30T07:31:09.128Z Kommentar: The Fast and the Furious

Dr. Thomas Herr fragt sich, ob Bauturbo und Brechstange zu mehr Wohnungen führen werden.

Mitte Juni 2025 hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf zur „Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Wohnungsbau“ beschlossen. Damit soll der Bau von Wohnungen in Deutschland neu angeschoben werden. Der sogenannte, schon von der Ampelregierung vorbereitete, „Bauturbo“ verspricht drastische Verfahrensbeschleunigung, digitale Verfahren und größere Freiheiten für die Kommunen.

Im Kern soll die neue Regelung des Paragrafen 246e Baugesetzbuch (BauGB) eine deutlich vereinfachte Genehmigung von Wohnungsneubauten, Aufstockungen oder Umnutzungen ohne Bebauungsplan ermöglichen. Für Bauanträge gilt eine Genehmigungsfiktion, sofern die Gemeinden nicht innerhalb von zwei Monaten widersprechen. Die Regelung gilt unabhängig von der Wohnungsmarktsituation bundesweit. Wesentliche erste Kritikpunkte am Entwurf beziehen sich auf die Notwendigkeit der aktiven Zustimmung der Gemeinden zur Nutzung des Instruments und auf die Befristung der Erleichterungen bis Ende 2030. Da der parlamentarische Prozess mindestens bis Ende 2025 dauern wird, ist die Frist sehr kurz, um Wirkung zu entfalten.

Laut Referentenentwurf sollen durch die Regelung jährlich rund 2,5 Milliarden Euro an Bürokratiekosten eingespart werden. Entscheidend ist aber, wie viele Kommunen diese Option tatsächlich nutzen – und ob sie über das nötige Personal verfügen.

Nahezu zeitgleich zum Kabinettsbeschluss zeigte sich Bundesbauministerin Verena Hubertz MdB in einem Interview überzeugt, dass man die Baukosten durch Förderung industriellen Bauens, modularer Typenbauten sowie die Entschlackung von Vorschriften perspektivisch halbieren kann.

Diese Halbierung der Baukosten ist allerdings nicht plausibel. Internationale Vergleiche zeigen, dass selbst bei konsequenter Normenreduktion und Prozessvereinfachung typischerweise zehn bis 15 Prozent der Gesamtkosten gesenkt werden können. Die deutschen Bau- und Immobilienverbände sehen zehn bis 20 Prozent Einsparpotenzial.

Gegen höhere Einsparungen sprechen neben den Material- und Energiekostensteigerungen auch die knappen Ressourcen, die sich der Wohnungsbau künftig auch noch mit dem Infrastruktur-Booster und den erhöhten Verteidigungsmaßnahmen teilen muss. Rund 250.000 Stellen im Bausektor sind unbesetzt. Ohne Fachplaner, Genehmigungsbeamte und Bauleiter verpuffen viele Maßnahmen an der Umsetzbarkeit. Ein Ersatz der Fachkräfte durch KI klingt gut, aber utopisch.

„Jetzt kriegen die Kommunen … eine Brechstange an die Hand, damit das alles ganz, ganz, ganz, ganz fix geht.“

Verena Hubertz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen im ARD-Morgenmagazin (23. Mai 2025)

Hinzu kommt: private und institutionelle Immobilieninvestitionen werden nicht durch Tempo allein angeregt. Wichtig sind eine verlässliche und marktgerechte Mietrechts-, Förder- und Steuerpolitik wie auch klare ESG-Anforderungen. Die Verlängerung der Mietpreisbremse und die Diskussion um ihre Erweiterung auf Bestände ab Baujahr 2014 bremst den Turbo stärker als die Mieten. Auch die Frage, wie die Europäische Gebäuderichtlinie bis Ende Mai 2026 in deutsches Recht umgesetzt, also das GEG erneut novelliert wird, ist ungeklärt. In vertraulichen Gesprächen äußern führende Politiker ihre berechtigten Zweifel, dass Deutschland die zeitlichen Zielvorgaben in der Gesetzgebung und der Umsetzung einhalten kann.

Der Bauturbo adressiert ausschließlich den Wohnungsbau.  Wir müssen jedoch bei allen baulichen Immobilien- und Infrastrukturmaßnahmen schneller, einfacher und preiswerter werden – von der Dekarbonisierung und Elektrifizierung der Energieversorgung, über die kommunale Infrastruktur, den Umbau und die Revitalisierung der Städte bis hin zum Gewerbebau, der die Transformation unserer produktiven Basis unterstützt. Dabei sollte die Kopplung mit den erweiterten Investitionsmöglichkeiten des Nachhaltigkeits- und Infrastrukturfonds mitgedacht und ermöglicht werden.

Auch an die völlig anders gelagerten Herausforderungen in den Schrumpfungsregionen muss gedacht werden. Warum können Ausgleichsflächen nicht länderübergreifend ausgewiesen und ein Ausgleich zwischen den Regionen als Reaktion auf sich ändernde Dichtemuster geschaffen werden? Oder: Warum wird der Bauturbo nicht mit einer Anpassung des Zivilrechts flankiert, die die Gleichsetzung der „üblichen Beschaffenheit“ mit der Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik in BGB, HOAI, VOB und den LBO beendet und stattdessen die Einhaltung sicherheitsrelevanter Normen regelt?  Die in Teil A der Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen aufgeführten Normen sind ein guter Ausgangspunkt für solche Mindestanforderungen.  Der gerne gefeierte Gebäudetyp E ist ein Notbehelf, der in der jetzigen Form alle am Bau Beteiligten mit Rechtsrisiken belastet.

Der Bauturbo ist ein Baustein – aber kein Befreiungsschlag. Die Brechstange ist nur ein Anfang. Das Versprechen von halbierten Kosten weckt Erwartungen, die enttäuscht werden. Wir müssen nicht nur schneller, sondern wirkungsvoller werden. Um im Eingangsbild zu bleiben: die Ministerin muss ihren Werkzeugkasten dauerhaft mit schwerem Gerät bestücken. Deutschland braucht keinen Impuls mit Verfallsdatum, sondern neues, auch wildes Denken und langfristig verlässliche, marktorientierte Rahmenbedingungen – für Bauwirtschaft, Kommunen und Investoren.

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zuletzt editiert am 30. Juli 2025