Diana Anastasija Radke, Vorständin Verband für Bauen im Bestand (BiB) und Managing Partner KVL Bauconsult GmbH (Quelle: KVL Group)

Projekte 2024-06-26T09:20:05.184Z „I am a Material Girl”

Diana Anastasija Radke plädiert mit ihrem Kommentar dafür, dem Material mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Der Madonna-Song „Material Girl“ ist so wie ich ein Hit der 1980er-Jahre. Madonna meinte das ironisch, beteuerte sie – ich dagegen meine die Zeile sehr ernst. Mehr noch – Materialität, beziehungsweise Material, verdient viel mehr Aufmerksamkeit. Aber warum?

Der Grund ist wie so oft im Leben: Physik! Denn alles – jedes Atom, jede materielle Ressource und somit jeder Gegenstand – besetzt Raum in der Welt. In der Quantenphysik nennt man es das Pauli-Prinzip! Bitte nicht verwechseln mit dem Peter-Prinzip, das Sie aus jedem Büro kennen. Aber zurück zur Ernsthaftigkeit…

Es gibt also alles in der Welt nur genau einmal an einem Ort. Geht es bei der Entdeckung des Physikers Pauli darum, den Aufbau von Atomen zu verstehen, beschäftigen wir uns im Verband für Bauen im Bestand e. V. mit sehr viel größeren Objekten. Für uns geht es darum zu verstehen, dass uns das Material, das wir auf der Erde vorfinden, nur genau einmal zur Verfügung steht, und die Frage ist, ob es uns wirklich zusteht, alles zu dekonstruieren und zu verbrauche. Viel des vorhandenen Ursprungsmaterials ist bereits „verbraucht“ – es steht vor uns – in Form von gebundener grauer Energie in unserer gebauten Umwelt.

Die Zahlen sprechen Bände. Beim Abfallaufkommen kommt den Bau- und Abbruchabfällen eine Schlüsselrolle zu. Mit rund 60 Prozent machen sie den Großteil am globalen Gesamtabfall aus. Für die Emission von CO2 ergeben sich ebenfalls hohe Werte. Bau und Nutzung von Gebäuden sind für etwa 40 Prozent der Emissionen verantwortlich. Ein hoher Anteil wird dabei bei der Herstellung von Baustoffen verursacht.

Es ist sehr gut, dass wir im Neubausektor zukünftig und auch teilweise schon heute die Kreislauffähigkeit von Gebäuden dokumentieren und somit ein Kataster für die Idee des Urban Mining erstellen – also dem Schürfen von Rohstoffen in unserer gebauten Umwelt. Wir dürfen jedoch Aktion nicht durch Dokumentation ersetzen: Do not mistake the map for the territory! Wir müssen zirkuläre Produkte, die wir entwickeln, nicht nur entsprechend einbauen und dieses dokumentieren. Sondern das Rad muss sich drehen – der Kreislauf muss in Schwung kommen! Zirkulär handeln heißt heute: Wenn wir schon Gebäude zurückbauen oder abreißen müssen, weil kein angemessener Nutzen mehr zu finden ist, dann muss doch das Maximum der verbauten Materialien weiterleben.

Material muss kostspielig sein

Und es gibt sie – die ersten Lösungen beziehungsweise Ermöglichungen, um einheitlich und orientiert im Kreislauf zu arbeiten. Einen Vorstoß hin zu dauerhafter Nutzung von Bauprodukten liefert DIN SPEC 91484 „Verfahren zur Erfassung von Bauprodukten als Grundlage für Bewertungen des Anschlussnutzungspotenzials vor Abbruch- und Renovierungsarbeiten“. Diese Spezifikation kann als Hilfestellung bei der Erarbeitung neuer Vorschriften und der freien Wirtschaft als einheitliche Datentiefe zu Bauprodukten dienen.

Ein weiterer effektiver Hebel besteht darin, Rezertifizierungen voranzutreiben. Ein Hersteller muss dazu in der Lage sein und vielleicht sogar verpflichtet werden, seine Materialien zu rezertifizieren. Material muss so kostspielig sein, dass man es sich nicht leisten kann, es wegzuwerfen. Und wenn wir erst einmal anfangen, den Lebenszyklus von Gebäuden und Materialien anders zu denken, länger zu denken, dann klappt es nicht nur mit der Physik, sondern auch mit der Mathematik und dem „Rechnen von Projekten“! Wir als Verband arbeiten daran, dass Rezertifizierung nicht exotisch bleibt, sondern zum „New Normal“ wird. Also: Let’s geht physical!

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zuletzt editiert am 26. Juni 2024