Die pharmazeutische Industrie steht vor einem tiefgreifenden Wandel: Globale Lieferketten müssen widerstandsfähiger werden, regulatorische Anforderungen steigen, und die Nachfrage nach hochspezialisierten Produktionsstätten nimmt kontinuierlich zu. Gleichzeitig rückt der Faktor Nachhaltigkeit immer stärker in den Fokus. Dr. Marc Sönnichsen, Director Life Sciences beim internationalen Bauberatungsunternehmen Linesight, erklärt im Gespräch, welche strategischen Weichen heute gestellt werden müssen, um die Produktion von morgen erfolgreich zu gestalten.
Herr Sönnichsen, w elche Besonderheiten müssen bei der Standortwahl für die Errichtung von pharmazeutischen Produktionsanlagen berücksichtigt werden, insbesondere im Hinblick auf logistische Anforderungen und regionale Vorschriften?
Marc Sönnichsen: Die Standortwahl ist für Pharmaunternehmen nicht nur ein operativer, sondern ein strategischer Hebel. Neben logistischen Faktoren, etwa der Nähe zu internationalen Verkehrsachsen und Knotenpunkten von Lieferketten, rücken regulatorische Planungssicherheit und infrastrukturelle Resilienz in den Fokus. Energieversorgung, Wasserverfügbarkeit und technologische Anbindung sind essenziell, ebenso wie die Frage, wie planbar Genehmigungsprozesse vor Ort ablaufen. Regionen mit etablierten Industrieclustern und erfahrenen Behörden bieten hier klare Standortvorteile. Wer diese Faktoren frühzeitig integriert bewertet, verschafft sich einen Vorsprung – in Kosten, Zeit und Marktzugang.
Wie beeinflussen geopolitische Trends, wie der “European Biotech Act”, und handelsbezogene Faktoren die Immobilienstrategie von Pharmaunternehmen in Europa?
Marc Sönnichsen: Europa positioniert sich aktuell strategisch als Rückgrat globaler Wertschöpfungsketten. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die Immobilienstrategie der Pharmaindustrie. Förderprogramme und industriepolitische Leitplanken forcieren den Aufbau regionaler Produktionskapazitäten. Gleichzeitig wird die Standortwahl zunehmend Teil des geopolitischen Risikomanagements.
Produktionsimmobilien müssen heute nicht nur effizient, sondern auch standortstrategisch durchdacht sein: Nähe zu Schlüsselmärkten, Versorgungssicherheit und politisch stabile Rahmenbedingungen rücken in den Vordergrund. Investoren, die Immobilien als resiliente Infrastruktur verstehen, profitieren.
Welche Rolle spielt die Architektur und Infrastruktur von Immobilien bei der Gewährleistung von GMP-Compliance und Qualitätssicherung in pharmazeutischen Produktionsanlagen?
Marc Sönnichsen: GMP-Anforderungen sind keine Einschränkung, sondern ein strukturierender Planungsrahmen. Die Klassifizierung von Raumzonen, Material- und Personenflüsse, Luftführung und Oberflächenmaterialien müssen frühzeitig im architektonischen Konzept abgebildet werden. Entscheidend ist, dass Immobilienentwickler die regulatorischen Logiken verstehen und nicht erst spät in der Planung damit konfrontiert werden. Wer die bauliche Umsetzung auf GMP ausrichtet, sichert sich nicht nur Compliance, sondern auch Investitionssicherheit: Anpassungen in späten Projektphasen sind teuer, sowohl zeitlich als auch finanziell.
Angesichts steigender Anforderungen an lokale Produktionskapazitäten: Wie können Immobilienentwickler Pharmaunternehmen dabei unterstützen, resiliente und zukunftsfähige Produktionsstandorte zu schaffen?
Marc Sönnichsen: Entwickler, die frühzeitig als strategische Partner auftreten, schaffen echten Mehrwert. Erfolgreiche Modelle beruhen auf drei Säulen: Erstens, Standortvorauswahl mit Fokus auf Genehmigungsfähigkeit und Infrastruktur. Zweitens, modulare, erweiterbare Gebäudekonzepte. Denn Anforderungen ändern sich oft kurzfristig. Drittens, integrierte Projektentwicklung mit Kenntnis regulatorischer Anforderungen. Wer zudem Nachhaltigkeitskriterien, Lebenszykluskosten und technische Redundanzen mit berücksichtigt, bietet Pharmaunternehmen nicht nur eine Immobilie, sondern eine belastbare Plattform für Skalierung, Innovation und Sicherheit.
Wie können durch den Bau und die Planung von pharmazeutischen Produktionsstätten nachhaltige und energieeffiziente Immobilienlösungen entwickelt werden?
Marc Sönnichsen: Nachhaltigkeit beginnt nicht erst im Betrieb, sondern bei der Planung. Ein effektiver Hebel ist die frühzeitige Bilanzierung von „embodied carbon“, also der CO₂-Fußabdruck von Baumaterialien und Bauprozessen. Auch Kreislaufkonzepte, etwa die Wiederverwendung von Prozesswasser oder modulare Rückbaubarkeit, gewinnen an Bedeutung.
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Gleichzeitig erfordert Nachhaltigkeit einen neuen Ansatz im Value Engineering: Ziel ist nicht der billigste Bau, sondern die intelligenteste Kombination aus Kosten, Performance und ökologischer Wirkung. Wer das früh im Projekt adressiert, erzielt regulatorische, wirtschaftliche und reputative Vorteile.
Welche finanziellen und regulatorischen Herausforderungen erwarten Immobilienentwickler bei der Errichtung von pharmazeutischen Produktionsstätten und wie können diese Risiken minimiert werden?
Marc Sönnichsen: Die größten Risiken liegen derzeit in der Kombination aus volatilen Baukosten, regulatorischer Komplexität und Fachkräftemangel. Ein präzises Kosten- und Risikomanagement, idealerweise über „Project Controls“ gesteuert, ist entscheidend. Zudem sollten Genehmigungsfragen nicht als spätes To-do, sondern als integraler Bestandteil der Projektstrategie verstanden werden. Clusterstandorte mit erprobten Verfahren bieten hier echte Vorteile. Entscheidend ist auch die Wahl verlässlicher Partner mit regulatorischer Erfahrung. Das ist ein Faktor, der im Wettbewerb zunehmend über den Zuschlag entscheidet.
Was sind die strategischen Vorteile, wenn Pharmaunternehmen Immobilienprojekte für ihre Produktion insourcing, und wie beeinflusst dies den Immobilienmarkt?
Marc Sönnichsen: Die Entwicklung hochregulierter Produktionsimmobilien erfordert tiefes Spezialwissen, vom regulatorischen Verständnis bis zur baulichen Umsetzung. Für Pharmaunternehmen ist es strategisch sinnvoller, sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren: Forschung, Entwicklung, Herstellung.
Die Rolle des Bauherrn wird deshalb zunehmend an spezialisierte Partner ausgelagert. Immobilienentwickler, die hier GMP-konformes Know-how mitbringen, positionieren sich in einem wachstumsstarken Nischenmarkt mit langfristiger Nachfrage.
Welche Synergien können zwischen Immobilienentwicklern und Pharmaunternehmen entstehen, wenn es um die Modernisierung oder Umnutzung bestehender Produktionsanlagen geht?
Marc Sönnichsen: Bestandsimmobilien bergen oft unterschätzte Potenziale, vorausgesetzt, sie werden strategisch analysiert und intelligent weiterentwickelt. Entwickler, die standardisierte, regulatorisch geprüfte Planungselemente mitbringen, können Umbauten beschleunigen und Risiken minimieren. Besonders erfolgreich sind Projekte, bei denen Planungs- und Betreiberteams gemeinsam Zielbilder entwickeln und regulatorische Anforderungen von Beginn an mitdenken. So entsteht aus einer Herausforderung ein echter Wettbewerbsvorteil.
Wie können Immobilienentwickler dazu beitragen, spezialisierte Kapazitäten für hochkomplexe Therapien (z. B. mRNA-Produktion) innerhalb von Produktionsstätten zu schaffen und dabei wettbewerbsfähig bleiben?
Marc Sönnichsen: Flexibilität ist das Schlüsselwort. Die Produktionen unterschiedlicher, insbesondere biotechnologischer Arzneimittel erfordert anpassbare Reinraumkonzepte, variable Medienführung und ein Layout, das schnelle Umrüstungen erlaubt. Architektur wird hier zur Infrastruktur. Sie muss wandlungsfähig sein. Entscheidend ist auch die Standortwahl: Nähe zu Forschungsclustern und die Verfügbarkeit spezialisierter Fachkräfte sind ebenso wichtig wie stabile Energie- und Wasserversorgung. Wer diese Faktoren integriert denkt, bietet Pharmaunternehmen echte Zukunftsfähigkeit.
In welchem Maße spielt die Nähe zu urbanen Zentren eine Rolle, um qualifizierte Arbeitskräfte für pharmazeutische Produktionsstätten zu gewinnen, und wie können Immobilienstrategien darauf abgestimmt werden?
Marc Sönnichsen: Der Zugang zu Talenten ist längst ein entscheidender Standortfaktor. Regionen mit Anbindung an Universitäten und Fachhochschulen bieten hier Vorteile - nicht nur für den laufenden Betrieb, sondern auch für Innovation.
Gleichzeitig muss die Balance stimmen: Urbane Zentren bieten Attraktivität, aber oft wenig verfügbare Flächen. Erfolgreiche Standortstrategien kombinieren Nähe zu Metropolen mit industrieller Realisierbarkeit, etwa in urbanen Speckgürteln mit guter ÖPNV-Anbindung.
Welche Optionen gibt es für Immobilienentwickler, um mit pharmazeutischen Unternehmen hybride Modelle zu realisieren, in denen eine Kombination aus in-house und outgesourcten Kapazitäten innerhalb desselben Standorts möglich ist?
Marc Sönnichsen: Hybride Modelle bieten Flexibilität, sowohl in der Skalierung als auch im Risikomanagement. Architektonisch bedeutet das: modulare Flächen, vordefinierte Ausbaustufen, Infrastrukturreserven. Standortlogisch ist die Nähe zu Lohnherstellern ein Vorteil. Diese ermöglicht schlankere Lieferketten und verringert die regulatorische Komplexität. Gerade für volatile Marktsegmente wie Biotech oder Advanced Therapy Medikamente sind solche Lösungen ein zukunftsfähiger Ansatz.
Welche architektonischen Herausforderungen und Chancen ergeben sich beim Bau von Produktionsanlagen, die sowohl GMP-Standards als auch strenge regulatorische Vorschriften erfüllen müssen?
Marc Sönnichsen: Die Herausforderung liegt in der Präzision. GMP verlangt nicht nur technisches Verständnis, sondern eine durchdachte bauliche Struktur - von der Luftzonenlogik über die Hygieneklassifizierung bis zur Prozessführung. Gleichzeitig wächst der Anspruch an Energieeffizienz und Nachhaltigkeit. Wer beide Welten verbindet - regulatorische Sicherheit und ökologische Zukunftsfähigkeit - schafft Immobilien, die in einem hochdynamischen Markt bestehen können.
Die Fragen stellte Andreas Reiner für immobilienmanager.
