Erneuerbare Energien sind in aller Munde. Der Bundesverband erneuerbare Energie (BEE) kümmert sich dabei um die nötige Lobbyarbeit. Wir sprachen mit Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des BEE, über Gemeinsamkeiten von Immobilien- und Energiewirtschaft.
Herr Axthelm, wo sehen Sie zwischen BEE und Immobilienwirtschaft gemeinsame Interessen?
Wolfram Axthelm: Unsere Mitglieder wollen 100 Prozent Erneuerbare in allen Sektoren. Bei Strom sind wir hier auf einem guten Weg. Der Wärmebereich bleibt weit hinter den technischen Möglichkeiten zurück. Das Interesse der Immobilienwirtschaft sind stabile Preise und Versorgungssicherheit bei Wärme- und Kälteversorgung. Angesichts der fossilen Preis- und Versorgungskrise kommen wir hier zueinander. Die künftige Wärme- und Energieversorgung im Bestand und im Neubau muss von Erneuerbaren getragen werden. Dass dies beschleunigt und sozialverträglich umgesetzt wird, liegt im gemeinsamen Interesse. Dazu müssen bürokratische Blockaden verschwinden und Förderprogramme ausfinanziert und langfristiger angelegt sein.
Wie kann der BEE die Immobilienwirtschaft bei der Erreichung der Klimaziele unterstützen?
Wolfram Axthelm: Wir haben mit unserem Wärmeszenario gezeigt, wie sich die Wärmeversorgung bis 2045 auf 100 Erneuerbare Energien umstellen lässt und welche Technologien wo sinnvoll eingesetzt werden können. Das kann eine Hilfestellung für die Immobilienwirtschaft sein, um zu erkennen, wo die Reise in diesem Sektor hingeht, worin es sich lohnt zu investieren und wovon man besser die Finger lassen sollte.
Seit 2023 gilt die Pflicht für PV-Anlagen auf Neubauten beziehungsweise sanierten Dachflächen in einigen Bundesländern. Unterstützen Sie diese Idee?
Wolfram Axthelm: Die Pflicht kann ein Instrument sein. Es muss verbunden werden mit einer deutlichen Vorbildwirkung der öffentlichen Hand. Gerade auf staatlichen Gebäude sind die Dächer bisher weitgehend leer. Das darf nicht so bleiben. Zusätzlich muss Pflicht mit Begeisterung gekoppelt werden. Man muss die Menschen, ob Eigentümer*innen oder Mieter*innen mitmachen lassen. Deshalb gilt es Bürokratie überall abzubauen, wo sie die Nutzung Erneuerbarer Energien behindert.
Halten Sie es für richtig, dass die Bundesländer unterschiedliche Regelungen getroffen haben?
Wolfram Axthelm: Der Bund hat klare und langfristige Ziele definiert. Wie diese Ziele erreicht werden ist Aufgabe der Bundesländer. Niemand kann sich hier länger aus der Verantwortung stehlen. Angesichts der sehr unterschiedlichen Topografie und Siedlungsstrukturen kann es allerdings unterschiedliche Wege geben. Was allerdings nicht passieren darf ist, dass Länder in der kreativen Verhinderungsstrategie verlieren, zum Beispiel die 10H-Regel in Bayern oder das kürzlich durch das Bundesverfassungsgericht gekippte Verbot von Windenergieanlagen in Forsten in Thüringen.
Wie kann verhindert werden, dass PV-Anlagen möglicherweise unerschwinglich werden?
Wolfram Axthelm: Einseitige Abhängigkeiten führen zu Knappheit und Preisauftrieb. Insoweit zeigt sich, dass der Hochlauf beim Zubau in Deutschland wie in ganz Europa einen neuen Blick auf Fertigungskapazitäten setzen muss. Berlin, koordiniert im Kanzleramt, und Brüssel haben dies erkannt. Der beschleunigte Weg zur Klimaneutralität lässt sich mit Wertschöpfung verbinden.
Neben der Anreizung europäischer Produktion in den wesentlichen Technologien muss der Bund mit stabil ausgestatteten und langfristigen Förderprogrammen den Umbau im Immobiliensektor flankieren. Wir fordern auch deshalb eine einkommensabhängige Komponente in der Bundesförderung Effiziente Gebäude.
Wie kann der Ausbau von Windkraftanlagen aus Ihrer Sicht wieder an Fahrt gewinnen?
Wolfram Axthelm: Die Bundesregierung hat bereits im ersten Jahr ihrer Regierungstätigkeit mehr und umfangreichere Maßnahmen zum Hochlauf der Windenergie, aber auch der Erneuerbaren allgemein angestoßen, als ihre Vorgänger in ganzen Legislaturperioden. Jetzt müssen die Bundesländer die neuen Instrumente bei Flächenausweisungen, Standardisierung und Verfahrensdauern nutzen. Wenn zudem die Möglichkeiten, die die EU Notfall Verordnung für straffere Genehmigungen schafft, jetzt ergriffen werden, kann 2023 zum Jahr der Genehmigungen und 2024 zum Durchbruch beim Zubau werden.
Nehmen Sie uns mal mit in die Zukunft. Wie sieht die Versorgung mit erneuerbaren Energien in zehn beziehungsweise 20 Jahren aus? An welchen Technologien arbeitet die Branche?
Wolfram Axthelm: Das kommt darauf an, ob es gelingt, jetzt die richtigen Maßnahmen zu treffen und die Erneuerbaren zu entfesseln. Wenn ja, dann haben wir in zehn Jahren etwas mehr als 50 Prozent Erneuerbare Wärme und über 80 Prozent Erneuerbare Energien im Stromsektor. In zwanzig Jahren stehen wir dann kurz vor dem Erreichen der Klimaneutralität, also 100 Prozent Erneuerbare in allen Sektoren.
Unser Energiesystem ist bis dahin vielfältiger, dezentraler und flexibler geworden. Die Leistungsträger Wind- und Solarenergie werden durch ein flexibel steuerbares Back-up aus Bioenergie, Wasserkraft, Geothermie, Speichern und Grüner Kraft-Wärme-Kopplung perfekt ergänzt. Im Wärmesektor kommen vor allem Wärmepumpen, Solarthermie-Anlagen, Geothermie und Bioenergie, von Holzenergie bis Biogas, zum Einsatz. Unsere Netzinfrastruktur und Speicherkapazität sind ausreichend ausgebaut und digitalisiert: Wir müssen jährlich nicht mehr viele zehntausend Megawattstunden Erneuerbaren Strom abregeln, sondern können auch die letzte Kilowattstunde verteilen oder speichern.
Die Erneuerbaren Branche war und ist hochinnovativ und von großen technischen Fortschritten geprägt. Die Leistung von Windkraftanlagen hat sich in den letzten zwanzig Jahren vervierfacht, ebenso die Leistung von Solaranlagen, während gleichzeitig die Preise drastisch gesunken sind. Das wird so weitergehen, auch dank der Digitalisierung, mit der zusätzliche Effizienzen gehoben werden können, gerade beim Thema Flexibilisierung von Produktion und Verbrauch.
Was wünschen Sie sich von Politik und Immobilienwirtschaft?
Wolfram Axthelm: Die Politik muss Kurs und Tempo halten, auch deutlich über die Legislatur hinaus. Die Immobilienwirtschaft sollte sich auf lösungsorientierte Debatten konzentrieren. Es liegt im Interesse von Eigentümer*innen und Mieter*innen, wenn wir Klimaneutralität mit stabilen Preisen und Versorgungssicherheit verbinden. Das können die Erneuerbaren.
Das Gespräch führte André Eberhard.