Neue Stadtquartiere haben allen voran den Anspruch, lebenswert zu sein. Eine durchdachte Nutzungsmischung und kurze Wege sollen dies sicherstellen. Arztpraxen können hierbei eine bedeutende Rolle spielen – wenn sie sich passend einfügen. Uwe Natter, Geschäftsführer des auf Gesundheitsimmobilien spezialisierten Asset-Managers Prohealth Real Estate, und Martin Wolfrat, Partner bei Art-Invest in Hamburg, klären Vor- und Nachteile.
Herr Wolfrat, Ärzte gehen sehr langfristige Mietverhältnisse ein und zahlen vergleichsweise hohe Mieten – ein Traum für Vermieter, oder?
Martin Wolfrat: Arztpraxen haben in jedem Fall zahlreiche Vorteile im Quartier. Sie beleben durch die Patientenschaft das Quartier und sind wahre Frequenzbringer. Zugleich sind sie als Mieter daran gewöhnt, indexierte Mieten zu leisten und sich an den höheren Ausbaukosten im Vergleich zum Büro zu beteiligen. Schließlich ist es nicht ungewöhnlich, Mietverträge mit Ärzten über mindestens zehn Jahre plus weitere zehn Jahre Option zu schließen. Schließlich spielen Ärzte eine zentrale Rolle bei unserer Quartiersstrategie, die auf die Rückkehr ins Büro setzt: Denn Büronutzer können idealerweise ihren Arztbesuch oder ihre Physiotherapie gleich nebenan absolvieren.
Uwe Natter: Ärzte haben ihre speziellen Bedürfnisse, aber wissen tatsächlich auch um die Kosten. Nicht jeder Mieter beispielsweise benötigt einen Wasseranschluss mitten im Raum – für Zahnärzte ist dies allerdings elementar. Sie wissen auch um den Schaden ihrer Profession bei der Umsatzsteuer, die für medizinische Dienstleister nicht umlegbar ist. Das ist ein Negativfaktor für den Vermieter, der aber beispielsweise durch höhere Mieten oder langfristige Verträge kompensiert werden kann. In der Regel sind Ärzte bereit, Verträge über zehn Jahre mit zwei weiteren Fünfjahres-Optionen zu schließen. Viele bleiben während ihrer ganzen Berufszeit in denselben Räumlichkeiten.
Gibt es für Quartiersentwickler auch Sorgenfalten bei der Integration von Arztpraxen?
Martin Wolfrat: Medizinische Leistungen finden ja zurecht im nicht-öffentlichen Bereich statt. Als Patient möchte ich nicht auf dem visuellen Präsentierteller der Nachbarn liegen. Das widerspricht mitunter unserem Anspruch, alle Nutzungen im Quartier mit einem gewissen Öffentlichkeitsbezug herzustellen – so zum Beispiel über Büros mit breiten transparenten Fensterfronten oder Einzelhandel und Gastronomie. Ein Negativfaktor ist zudem die Drittverwendungsfähigkeit: Arztpraxen anderen Funktionen zuzuführen ist aufgrund der bereits erwähnten ungewöhnlichen Stellen von Wasseranschlüssen oder Starkstrom kostenträchtig und komplex. Bei einem Exit oder geplantem Refurbishment stehen Arztpraxen als Solitäre dar, die nicht ohne weiteres ihre Mietverhältnisse pausieren können. Auf der anderen Seite gibt es Pluspunkte, wenn die Quartiere ESG-Konformität aufweisen sollen und in Fonds nach Artikel 8 oder 9 liegen. Ärzte erfüllen die S-Komponente natürlich in hohem Maße.
Wann sollte ein Arzt in ein Quartier ziehen und wann nicht?
Uwe Natter: Wir wissen aus Studien, dass Quartiere mit Bildungsangeboten und medizinischen Leistungen eine äußerst stabile Bewohner- und Nutzerschaft haben. Wo es eine Arztpraxis und eine Schule gibt, da findet Abwanderung nicht statt. Wenn ich als Entwickler barrierefreie Wohnungen für Senioren oder Personen mit eingeschränkter Mobilität im Quartier schaffe, ist eine Arztpraxis und andere medizinische Leistungen zwingend geboten, so sie bislang in der Nähe nicht vorhanden sind.
Martin Wolfrat: Man muss die Makrolage berücksichtigen. Wenn ich bereits genügend Ärzte in fußläufiger Entfernung zur Verfügung habe, wäre eine weitere Praxis im Quartier redundant. Hier gilt es meiner Meinung nach zwischen zentral gelegenen Quartieren in Großstädten und solchen in Mittel- und Kleinstädten zu unterscheiden. Bei Kassenärzten reguliert die Kassenärztliche Vereinigung die Vergabe weiterer Arztsitze, die Kommunen machen uns Entwicklern hierbei übrigens keine Vorgaben.
Welche anderen Nutzungen im Quartier lassen sich gut mit Ärzten kombinieren?
Uwe Natter: Im Sinne der kurzen Wege sollten Arztpraxen mit anderen medizinischen Leistungen kombiniert werden. Ein Block des Quartiers könnte dann beispielsweise für Ärzte und Physiotherapeuten reserviert sein – kombiniert mit einer Apotheke oder einem Sanitätshaus im Erdgeschoss. Verschiedene Arten von Medizinern unter einem Dach bietet große Vorteile bei Patientenüberweisungen.
Martin Wolfrat: Die Idee eines eigenen medizinischen Blocks gefällt mir. Denn die Frequenz bei Arztpraxen könnte sich im selben Gebäude mit Büronutzern, die eine ruhige und konzentrierte Arbeitsatmosphäre benötigen, stören. Wie erwähnt: In unseren Quartieren passen Ärzte prinzipiell immer, da sie das wichtigste Kriterium eines urbanen Areals, den Publikumsverkehr, stets erfüllen und fördern.