Sanierung der Kreissparkassen-Filiale in Altbach bei Stuttgart
Die umfassende Dämmung von Fassaden, Fenstern und Dächern, wie bei der KSK-Filiale in Altbach, ist die Voraussetzung für die Umrüstung auf Wärmepumpen. (Quelle: LAVA ENERGY / Jürgen Pollak)

Nachhaltigkeit & ESG 2024-03-27T08:43:29.884Z Energetische Gebäudesanierung: Quartiere statt kleinteiliger Lösungen

Soll die energetische Sanierung des Gebäudebestands gelingen, müssen statt kleinteiliger Lösungen ganze Quartiere und Gebäudeensembles umgerüstet werden. Von Dr.-Ing. Roland Kopetzky

Rund zwei Drittel der mehr als 43 Millionen Wohnungen in Deutschland wurden vor 1979 erbaut, die meisten davon in den 50er- oder 60er-Jahren, als es noch keine Regelungen zur Energieeffizienz gab. Die erste Wärmeschutzverordnung trat erst 1977 in Kraft. Die alten Bestandsbauten sind deshalb für einen Großteil der CO2-Emmissionen verantwortlich, die auf den Gebäudesektor entfallen; in Deutschland sind das 40 Prozent.

Porträtbild Roland Kopetzky
Dr.-Ing. Roland Kopetzky ist Geschäftsführer bei Lava Energy. (Quelle: LAVA ENERGY / Jürgen Pollak)

Schätzungen zufolge müssten mindestens 15 Millionen Wohngebäude energetisch umgerüstet werden, um die angestrebte Klimaneutralität im Gebäudesektor zu erreichen. Die EU gibt mit ihrer scharfen Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden die Schlagzahl vor, Deutschland hat mit dem abgeschwächten, doch noch immer umstrittenen Heizungsgesetz, eigentlich eine Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG), nachgezogen.

Auf den ersten Blick erscheint das ambitionierte Ziel, bis 2045 den Gebäudebestand klimaneutral umzurüsten, nur schwer umsetzbar. Das erforderliche Tempo lässt sich aber zumindest erhöhen, wenn das gesamte Projektmanagement in der Hand eines Generalplaners liegt, der die Umrüstung ganzer Quartiere oder zusammenhängender Gebäudeensembles plant, koordiniert und durchführt. So lässt sich auch ein straffer Zeitplan umsetzen.

Fallbeispiel Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen 

Die Dekarbonisierung des Immobilienbestandes der Kreissparkasse (KSK) Esslingen-Nürtingen ist dafür ein gutes Beispiel. Mit einem Investitionsvolumen von 35 Millionen Euro werden binnen zweieinhalb Jahren 26 im Eigenbesitz befindliche Filialen auf klimaneutrale Energieträger umgerüstet. Die ersten davon wurden, wie die meisten Bestandsgebäude in Deutschland, in den 50er- und 60er-Jahren erbaut, weitere in den 80er- und 90er-Jahren, die beiden neuesten stammen aus den Jahren 2015 und 2018.

So unterschiedlich wie dieses Immobilien-Portfolio ist auch dessen Ausstattung: Steildach, Flachdach, Öl- und Gasheizung, mit und ohne Dämmung von Decken und Fassaden – die Filialen der KSK Esslingen-Nürtingen stehen beispielhaft für viele Bestandsgebäude in Deutschland. Auch die Mischnutzung ist ein typisches Merkmal vieler älterer Gebäude. So sind die Obergeschosse in der Regel vermietet, sei es an Privatpersonen, gewerbliche Nutzer oder Arztpraxen.

Mehr Tempo durch gewerkeübergreifendes Projektmanagement 

Für eine zielgenaue Planung ist es unabdingbar, zuerst den Ist-Zustand der Gebäude abzubilden, am besten anhand dreidimensionaler Gebäudemodelle. Darauf aufbauend kann anschließend der Sanierungsbedarf ermittelt werden, idealerweise unter Einbeziehung von Förderkriterien. Ein straffes gewerkeübergreifendes Projektmanagement, das von der Gebäudeanalyse bis zum Betrieb alle gängigen Leistungsphasen umfasst, ermöglicht die zügige Modernisierung, gegebenenfalls auch bei laufendem Betrieb.

Der Generalplaner steht dabei vor der Herausforderung, alle Baumaßnahmen in baulich unterschiedlichen Gebäudekomplexen und an häufig verschiedenen Standorten miteinander zu koordinieren und mit den Mietern abzustimmen. Eine ausgeklügelte Projektplanung verhindert Fehler und ist unabdingbare Voraussetzung für die Einhaltung eines ambitionierten Zeitplans. Um auszuloten, wie sich die Planung am besten in die Praxis umsetzen lässt, empfiehlt es sich, die Maßnahmen zuerst an ausgewählten Pilotprojekten zu erproben, ehe sie auf sämtliche Gebäude ausgerollt werden.

Ausführende Unternehmen früh einbinden

Die ausführenden Unternehmen sollten möglichst früh eingebunden werden, um einen Bruch zwischen Planung und Ausführung zu vermeiden. Bewährt hat sich zudem, nicht zu viele unterschiedliche Unternehmen mit den Baumaßnahmen zu beauftragen. Im Falle der KSK Esslingen-Nürtingen sind nur eine Firma für Erdbohrungen, eine für die Technische Gebäudeausstattung, eine für Stuckateur- und Gerüstbau, ein Spezialist für Steildächer sowie drei Fensterbauer im Boot. Alle beauftragten Unternehmen kommen aus der Region. Um Transparenz und Planungssicherheit, auch bezüglich der Kosten, zu gewährleisten, wurden mit den ausführenden Unternehmen Massen-, Mengen- und Kostengerüste vereinbart.

Die meisten älteren Bestandsgebäude, so auch die Filialen der KSK Esslingen-Nürtingen, sind mit einer Gas- oder Ölheizung ausgestattet. Die Umrüstung auf Wärmepumpen, die mit Erd- oder Luftwärme betrieben werden, ist für viele Bestandsbauten das Mittel der Wahl. Voraussetzung dafür ist die konsequente Dämmung von Fassaden, Fenstern und Dächern. Sie kann den Energiebedarf um durchschnittlich 50 Prozent reduzieren und ist die Basis für die effiziente Nutzung von Wärmepumpen. Zudem wird über den konsequenten Einsatz von Photovoltaik mehr Strom über das Jahr erzeugt, als die Wärmepumpen benötigen. Der Überschuss wird ins öffentliche Netz eingespeist.

KSK-Filiale in Notzingen
Der konsequente Einsatz von Photovoltaik, wie bei der KSK-Filiale in Notzingen, bringt über das Jahr mehr Strom als die Wärmepumpen benötigen. (Quelle: LAVA ENERGY / Jürgen Pollak)

Wie sich die Sanierungsmaßnahmen am Ende auswirken, zeigt sich am Rechenbeispiel der KSK-Filiale Grötzingen-Aichtal. In dem zweigeschossigen Gebäude, Baujahr 1966, werden Außenwände, Kellerdecken und das Dach gedämmt, die Fenster ausgetauscht, eine Photovoltaik-Anlage installiert und die alte Ölheizung durch eine Wärmepumpe ersetzt. Der Endenergiebedarf wird dadurch von 220 auf voraussichtlich 105 kWh/m² im Jahr sinken, der CO2-Ausstoß von 78 auf zwei Kilogramm pro Quadratmeter im Jahr. Übertragen auf alle 26 KSK-Filialen, drücken die Sanierungsmaßnahmen die CO2-Emissionen von 592 Tonnen im Jahr auf null.

EU-Vorgaben erfüllen

Durch den deutlich niedrigeren Energiebedarf rücken die sanierten Gebäude auch bei den Energieeffizienzklassen von den unteren in die mittleren Ränge vor. Nur acht KSK-Filialen erreichten bisher die Klassen C und D, während alle anderen energetisch den unteren Klassen E, F oder G zugeordnet waren, was einem Energiebedarf von mindestens 160 kWh/m² im Jahr entspricht, in der Klasse G sind es sogar über 250 kWh/m² im Jahr.

Laut EU-Richtlinie ist das im Hinblick auf die Energiewende deutlich zu viel. Sie schreibt deshalb vor, dass energetisch ineffiziente Wohngebäude bis 2033 die Klasse D (bis 130 kWh/m² im Jahr) erreichen müssen, Nicht-Wohngebäude sogar drei Jahre früher. Auch diese Hürde haben die 26 Filialen der KSK jetzt genommen. Nach ihrer Sanierung sollen sie einen durchschnittlichen Energieverbrauch von 50 kWh/m² im Jahr haben.

Die Sanierung der Filialen der KSK Esslingen-Nürtingen könnte eine Blaupause für Wohn- und Gewerbequartiere in älteren Stadtvierteln sein - damit mehr Tempo in die Dekarbonisierung des Gebäudebestands kommt.

Gastautor Dr.-Ing. Roland Kopetzky ist Geschäftsführer bei Lava Energy.

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zuletzt editiert am 27. März 2024