Porträt Dr. Markus Bell
Dr. Markus Bell ist geschäftsführender Gesellschafter von Bell Management Consultants. (Quelle: Bell Consultants)

Nachhaltigkeit & ESG 2025-01-29T08:57:27.074Z ECORE-Scoring: Mehr Transparenz oder nur ein weiterer ESG-Standard?

Im Interview erklärt Dr. Markus Bell, wie sich ECORE von anderen ESG-Standards unterscheidet und welchen Nutzen es für die Immobilienbranche bietet. Von Thorsten Schnug

Der Markt für ESG-Scorings wächst stetig, und Immobilienunternehmen stehen vor der Herausforderung, die verschiedenen Systeme zu bewerten. Mit ECORE wurde ein weiterer Branchenstandard entwickelt, der eine Vergleichbarkeit der ESG-Performance von Immobilien ermöglichen soll. Doch wie unterscheidet sich ECORE von bestehenden Modellen? Wie unabhängig ist das Scoring tatsächlich? Und welchen Nutzen bringt es Unternehmen in der Praxis? Dr. Markus Bell stellt sich im Interview unseren Fragen zur Rolle von ECORE im Markt, den Herausforderungen bei der Umsetzung und dem Vorwurf der Vereinfachung komplexer Nachhaltigkeitsaspekte.

Herr Bell, ECORE wurde als Branchenstandard für ESG-Scoring entwickelt. Wie unterscheidet es sich von bestehenden Systemen wie GRESB oder CRREM?

Dr. Markus Bell: ECORE und GRESB sind grundlegend vergleichbar, setzen jedoch unterschiedliche Schwerpunkte. ECORE gewichtet die Immobilienebene höher, GRESB die Governance-Aspekte. CRREM hingegen ist ein spezialisierter Ansatz für die Berechnung von „Stranding Points“ für Energieverbrauch und CO₂-Emissionen. CRREM kann jedoch das umfassendere Bild, das ECORE von der gesamten ESG-Performance liefert, hervorragend ergänzen.

Vorteile von ECORE: Asset-Manager erhalten neben wertvollen Insights zur Portfolio-Performance, konkrete Handlungsempfehlungen, indem Performance-Lücken einzelner Objekte aufgezeigt werden. Das erleichtert die gezielte Umsetzung der Transformation.

Ein weiterer Vorteil: Banken und Finanzierer nutzen das ECORE-Datenset zunehmend für Prolongationen und Neugeschäfte. So entsteht ein einheitlicher Datenstandard zwischen Finanzierern und Bestandshaltern, der den Aufwand für die Datenbeschaffung auf beiden Seiten erheblich reduziert.

Kritiker argumentieren, dass der Markt bereits mit ESG-Standards übersättigt ist. Warum braucht die Immobilienbranche ECORE zusätzlich?

Dr. Markus Bell: ECORE wurde 2020 gegründet, als es noch keinen vergleichbaren Standard gab. Rund 100 Unternehmen aus der Branche haben sich uns angeschlossen, um die Lücke zu schließen und dem Markt Orientierung zu geben. Bis heute gibt es mit ECORE und GRESB nur zwei etablierte Portfolio-Scoring-Modelle – von Übersättigung kann keine Rede sein.

Wie gewährleisten Sie die Objektivität und Unabhängigkeit von ECORE, wenn Bell Management Consultants sowohl Entwickler als auch Vermarkter des Systems ist?

Dr. Markus Bell: Diese Annahme ist nicht korrekt: Bell Management Consultants (BMC) agierte stets als Initiator und Moderator einer Entwicklung, die mit der Branche gemeinsam vorangetrieben wurde. Und seit dem 1. Januar 2024 liegt die Hoheit über das Scoring bei der unabhängigen ECORE-Stiftung. Änderungen am Scoring-Modell können nur durch das Kuratorium beschlossen werden, das mit Vertretern des ZIA, Banken und der Branche besetzt ist – ohne Beteiligung von BMC-Mitarbeitern. BMC fungiert ausschließlich als operativer Betreiber der Plattform, ohne strategische Entscheidungsbefugnis. Zusätzlich sichern unabhängige ECORE-Verifier die Objektivität, indem sie die Daten vor der Vergabe der offiziellen ECORE-Labels prüfen.

Der jüngste ESG-Report zeigt eine sinkende Zufriedenheit mit ESG-Dienstleistern. Welche Rolle spielt ECORE bei der Bewältigung dieser Herausforderungen?

Dr. Markus Bell: ECORE bietet einerseits einen transparenten Standard, der Bestandshaltern zeigt, wo ihre Portfolios und Immobilien aus ESG-Perspektive stehen und wo Nachholbedarf besteht. Andererseits agieren wir als Netzwerk: Unsere Community – einschließlich der ESG-Solution Partner – fördert den Austausch und das gemeinsame Lernen, um Herausforderungen gezielt zu bewältigen. Der ESG-Report verdeutlicht, dass der Markt noch jung und oft intransparent ist. Die aktuell sinkende Zufriedenheit mit ESG-Dienstleistungen spiegelt die steigenden Erwartungen einer Professionalisierung im Markt wider – ein Prozess, den ECORE aktiv unterstützt.

Inwiefern berücksichtigt ECORE die sich ständig ändernden regulatorischen Anforderungen, insbesondere auf EU-Ebene?

Dr. Markus Bell: ECORE passt den Score kontinuierlich an die sich ändernden regulatorischen Anforderungen an: In den ECORE Fachausschüssen, die von Experten aus Verbänden, Wirtschaftsprüfern und Juristen besetzt sind, bündelt sich das Wissen zu EU-Regulatorik. Dort werden Neuerungen analysiert und ihre Implikationen für ECORE diskutiert. Bei Bedarf werden Fragebogen oder Governance entsprechend angepasst, um den Anforderungen gerecht zu bleiben.

Wie stellen Sie sicher, dass ECORE für verschiedene Immobilientypen und -größen gleichermaßen relevant und anwendbar ist?

Dr. Markus Bell: Über 100 Bestandshalter, Finanzierer und Projektentwickler haben den ESG-Score auch deshalb gemeinsam entwickelt, um die spezifischen Anforderungen verschiedener Assetklassen zu berücksichtigen. Das Ergebnis sind maßgeschneiderte Fragenkataloge für jede Immobilientypologie. Im Online-Tool erleichtern Filter die Auswahl des passenden Katalogs.

Viele Unternehmen beklagen den hohen Aufwand für ESG-Reporting. Wie aufwendig ist die Implementierung und laufende Nutzung von ECORE?

Dr. Markus Bell: Das Feedback unserer Nutzer zeigt: Das Zusammentragen und Aufbereiten von Daten ist bei jedem ESG-Scoring aufwendig. ECORE setzt jedoch auf maximalen Komfort: Unsere Online-Plattform erfordert keine Installation und eine kurze Schulung reicht für die Nutzung aus. Zudem können vorhandene Daten per API direkt ins System integriert werden. Nach der Ersterhebung genügt es, Datensätze zu aktualisieren. Der Fragenkatalog umfasst je nach Assetklasse rund 30 Fragen, wobei für detailliertere Analysen zusätzliche Bewertungskriterien verfügbar sind.

Welche konkreten Vorteile bietet ECORE Immobilienunternehmen bei der Kapitalbeschaffung oder im Wettbewerb?

Dr. Markus Bell: Mehrere Banken nutzen ECORE bereits für Finanzierungsentscheidungen. Kreditnehmer profitieren davon, nur einen Fragenkatalog ausfüllen zu müssen, der für alle angebundenen Banken gilt. Bestehende Daten können bei bereits in ECORE angelegten Objekten direkt an die finanzierende Bank übermittelt werden, was den Prozess erheblich vereinfacht.

Im Wettbewerb ermöglicht ECORE Investoren einen Überblick über die Performance ihrer Portfolios, während Asset-Manager gezielt Performance-Gaps identifizieren können, um die grüne Transformation voranzutreiben. Solution Partner stehen dabei unterstützend zur Seite, sodass Bestandshalter notwendige Schritte effektiv und realistisch umsetzen können.

Wie gehen Sie mit der Kritik um, dass ESG-Scorings oft zu einer Vereinfachung komplexer Nachhaltigkeitsaspekte führen?

Dr. Markus Bell: Die Kernidee eines Scorings ist es, komplexe Sachverhalte auf einen verständlichen Scorewert zu reduzieren. Eine 1:1-Abbildung der Realität wäre wenig zielführend. Das Spannungsfeld zwischen Vereinfachung und Genauigkeit bleibt daher bestehen. Entscheidend ist jedoch, dass die komplexen Themen sauber analysiert und fundiert aufbereitet werden, bevor sie in eine vereinfachte Darstellung überführt werden. So bleibt die Aussagekraft des Scorings erhalten.

ECORE wurde primär für den deutschen Markt entwickelt. Wie planen Sie die internationale Expansion und Anerkennung des Standards?

Dr. Markus Bell: Die Annahme, ECORE sei primär für den deutschen Markt entwickelt worden, ist ein Missverständnis. ECORE wurde von Anfang an als europäischer Standard konzipiert, da viele Anwender länderübergreifend investieren.

Seit Beginn erfüllt ECORE die Anforderungen an internationale Nutzung: Die Plattform ist auf Englisch verfügbar, es gibt keine Länderbeschränkungen – Immobilien aus Asien oder Australien können ebenfalls bewertet werden – und der Fragenkatalog orientiert sich an internationalen Normen, soweit vorhanden.

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zuletzt editiert am 03. Februar 2025