Deutschland benötigt bis 2025 über 400.000 Ladestationen für Elektrofahrzeuge und zählt damit europaweit zu den Ländern mit dem größten Bedarf.
Deutschland, Frankreich, Schweden, Norwegen und Großbritannien haben laut einer aktuellen Studie von Savills europaweit den größten Bedarf an Ladestationen für Elektrofahrzeuge und bieten damit Chancen für Vermieter und Investoren. Savills zufolge entfallen auf die genannten fünf Länder 77 Prozent der in den nächsten zwei Jahren benötigten E-Ladestationen in Europa. In Deutschland, Großbritannien und Frankreich ist dies auf die große Bevölkerungszahl und die perspektivisch hohe Nachfrage nach E-Fahrzeugen zurückzuführen, die die vorhandene Ladeinfrastruktur übersteigt. Als Basisberechnung wurde das Verhältnis der Anzahl der E-Fahrzeuge zur Anzahl der E-Ladestationen gelegt. In der Gesamtbetrachtung ergab sich allein für Deutschland bis 2025 ein Mehrbedarf von über 400.000 E-Ladestationen.
Laut Savills bietet dies Immobilieneigentümern die Möglichkeit, beispielsweise mit privaten Betreibern von Ladestationen (CPOs, für Charge Point Operator) zusammenzuarbeiten, um eine Ladeinfrastruktur zu installieren, aus der sich weitere Mieteinnahmen erzielen lassen. In nahegelegenen Immobilien lässt sich dadurch zudem die Verweildauer und Kunden- beziehungsweise Passantenfrequenz steigern, was mittelbar ebenso zu höheren Einnahmen führen kann. In der Regel übernehmen die CPOs die Kosten für die Einrichtung und je nach Standort können Vermieter bei einer Mietdauer von 15 bis 25 Jahren mit Mieteinnahmen zwischen 600 und 2.000 Euro pro Ladepunkt/Stellplatz und Jahr rechnen.
Ungenutztes Potenzial liegt in der Unterversorgung
„Da die steuerliche Förderung in vielen Ländern als Zuckerbrot und die Umweltgesetzgebung als Peitsche wirkt, geht die Nachfrage der Verbraucher nach E-Fahrzeugen in Europa nach oben“, sagt Tristam Larder, Head of European Capital Markets bei Savills. „Viele Nutzer haben keinen Zugang zu Ladestationen zu Hause, daher ist die Bereitstellung einer öffentlichen Infrastruktur unerlässlich. Viele Vermieter verfügen über eine beträchtliche Anzahl von Parkplätzen, die für die Installation von Ladestationen geeignet sein könnten. Dies ist eine Gelegenheit, einen weitgehend ungenutzten Vermögenswert zu monetarisieren und gleichzeitig über Partnerschaften mit CPOs potenzielle Einnahmen für andere Einrichtungen zu steigern.“
Vor dem Hintergrund des für 2035 geplanten Verbots neuer Diesel- und Benzinfahrzeuge haben die meisten Fahrzeughersteller und Zulieferer Milliardeninvestitionen in den Übergang zur Elektrifizierung von Fahrzeugen getätigt. Gerade erst wurde seitens der Behörden grünes Licht für die Northvolt-Batteriefabrik bei Heide gegeben, welches eines der größten Industrieprojekte in Schleswig-Holstein ist und 2026 in Betrieb gehen wird. Auch E.ON weitet vor dem Hintergrund der europaweit dynamischen Entwicklung im Bereich Elektromobilität seine Investitionen in das Geschäft mit Elektromobilitätslösungen aus: In Essen hat der Energiekonzern gerade erst im Januar 2024 ein neues Test- und Innovationszentrum für Ladetechnologien und nachhaltige Energielösungen auch im Bereich des Megawatt-Ladens eröffnet. Die Industrie warte nun darauf, dass die Ladeinfrastruktur ausgebaut wird und sei bereit, dies auch mit eigens gegründeten CPOs zu unterstützen.
„In der momentanen und auch perspektivischen Unterversorgung des Marktes liegt noch viel ungenutztes Potenzial, sowohl für Eigentümer als auch Investoren. Die einfache Integration auf vielen Grundstücksflächen ist nicht nur die Basis für einfach erreichbare zusätzliche Mieterträge, sondern stellt auch ein langfristiges Investment in den Werterhalt bis hin zur Wertsteigerung von Immobilien dar“, so Karsten Sievers, Director Investment bei Savills.
Zu den Herausforderungen zählen neben einem derzeit noch hohen bürokratischen Genehmigungsaufwand insbesondere die lokale Netzkapazität und die hohen Vorlaufkosten für die Netzverstärkung und den Anschluss. Durch eine Zusammenarbeit zwischen CPOs und Vermietern lassen sich die Risiken und auch die potenziell hohen Renditen teilen. Hinzu kommt, dass ab 1. Januar 2025 in Deutschland ohnehin alle Parkplätze von Nichtwohngebäuden mit mehr als 20 Stellplätzen mindestens eine E-Ladestation aufweisen müssen.
Wettbewerb um die besten Standorte
„Der Wettbewerb um die besten Standorte ist in vollem Gange. Dabei gibt es aber keine ‚One site fits all‘-Lösung“, erläutert Benjamin Poddig, Director Corporate Finance und Valuation bei Savills in Berlin. „CPOs beurteilen Standorte sehr unterschiedlich, nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Konzepte, individueller Förderungen und bereits bestehender Ladepunkte. Es bedarf daher eingehender Beratung, welcher CPO am Standort der geeignete ist, um für alle Stakeholder nachhaltig Mehrwerte zu schaffen.“
In Deutschland ist der Markt der Charge Point Operators äußerst fragmentiert: Hierzulande gibt es über 100 Unternehmen mit einem Bestand von jeweils mindestens 100 öffentlichen E-Ladestationen. Der Unternehmensberatung Apricum zufolge haben die zehn größten Unternehmen zusammen einen Anteil von weniger als 20 Prozent am Gesamtmarkt. Partnerschaften wie von BP Pulse und Apoca Parking zeigen, wie es geht: Die Unternehmen errichten in ganz Europa E-Hubs mit mehr als 100 Schnellladestationen in Stadtzentren. Berlin und Bremen in Deutschland sind die ersten Urban Hubs, die rund um die Uhr Zugang zu ultraschnellen Ladestationen bieten sollen. Wie hoch das Potenzial ist, lässt sich auch anhand der Anzahl an verfügbaren Pkw-Parkplätzen abschätzen: Allein in Deutschland gibt es in Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnern rund 7,5 Millionen PKW-Parkplätze, sowohl entlang von Straßen als auch auf abgesetzten Parkplätzen. Letztere belaufen sich auf rund fünf Millionen und stehen im Fokus der CPOs und Investoren.