Neue Commercial Courts bieten eine kostengünstige, englischsprachige Alternative zur Schiedsgerichtsbarkeit – ideal für große Bauprojekte.
Was haben Offshore-Windparks, millionenschwere Bauprojekte und internationale M&A-Deals gemeinsam? Sie alle könnten künftig vor einer neuen Gerichtsbarkeit landen: dem Commercial Court. Was auf den ersten Blick wie ein Spezialforum für internationale Konzerne wirkt, könnte sich rasch als strategischer Gamechanger für Unternehmen aller Größen erweisen – insbesondere in der Bau- und Immobilienwirtschaft.
„Commercial Courts verbinden die Vorteile der staatlichen Gerichtsbarkeit mit der Flexibilität internationaler Verfahren – und das bei deutlich geringeren Kosten“, sagt Rechtsanwalt Dr. Oliver Koos, Vize-Vorsitzender der ARGE Baurecht im Deutschen Anwaltverein.
Effizient, englisch, wirtschaftsnah
Die Commercial Courts sind bei den Oberlandesgerichten angesiedelt und ab einem Streitwert von 500.000 Euro zuständig – in manchen Ländern liegt die Schwelle bei einer Million Euro. Damit sind sie wie gemacht für typische Konflikte in Großprojekten: Nachtragsforderungen, Bauzeitverlängerungen, Vertragsstrafen, Streitigkeiten aus ARGE-Verträgen oder Gewährleistungsprozesse mit internationalem Bezug.
Der Clou: Verfahren können – wenn die Parteien es wollen – vollständig in englischer Sprache geführt werden. Verträge müssen dann nicht mehr übersetzt werden, internationale Projektteams arbeiten in vertrauter Umgebung weiter. „Wir haben das komplette Formularwesen auf Englisch vorbereitet“, sagt Anke Viering, Richterin am Hanseatischen Oberlandesgericht. Auch Schriftsätze können auf Englisch eingereicht werden, und selbst Sachverständige können bei Bedarf international ausgewählt werden.
Startschuss für eine neue Vertragspraxis
Für Unternehmen bedeutet das: Wer künftig Bauverträge aufsetzt, sollte die Möglichkeit einer Commercial-Court-Klausel ernsthaft prüfen. „Unternehmen, die frühzeitig eine Commercial-Court-Klausel aufnehmen, verschaffen sich einen strategischen Vorteil – sei es als Kläger oder zur Abschreckung“, betont Dr. Koos.
Zuständig ist ein Commercial Court nämlich nur dann, wenn die Parteien das im Vertrag vereinbaren – oder wenn sich beide rügelos auf das Verfahren einlassen. Wer schnell ist, kann damit die Regeln des Spiels mitgestalten.
Organisationstermin: Struktur statt Zufall
Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist der sogenannte Organisationstermin. Kurz nach der Klageeinreichung bespricht das Gericht gemeinsam mit den Parteien den Ablauf des Verfahrens: Fristen, Beweismittel, Sprache, mögliche Mediation – alles wird strukturiert geplant.
„Wir richten den Blick nach vorn: Was kommt da auf die Parteien zu? Genau das klären wir frühzeitig“, sagt Richter Dr. Frank Bodendiek. Und seine Kollegin Sabine Schwandt ergänzt: „Gerade in Bausachen wissen wir, wie wichtig es ist, Prozesse strukturiert zu führen. Wir können beispielsweise auch entscheiden, welche Punkte zunächst geklärt und welche zunächst zurückgestellt werden.“
Kostenersparnis: ein Argument mit Gewicht
Bisher waren Schiedsgerichte die bevorzugte Lösung für Unternehmen, die Diskretion, Fachnähe und Flexibilität wollten. Doch der Preis dafür war hoch:
Commercial Court bei einer Million Euro Streitwert: rund 17.643 Euro Gerichtsgebühren (umsatzsteuerfrei)
Schiedsgericht (DIS): rund 35.785 Euro netto
Ersparnis: über 50 Prozent!
Dazu kommen bei Schiedsverfahren oft noch Kosten für Schiedsrichterhonorare, Raummieten und Übersetzungen. Im Commercial Court sind diese Faktoren entweder deutlich reduziert oder entfallen ganz. „Für die Baubranche ist das eine wirtschaftlich kluge Alternative zur Schiedsgerichtsbarkeit – gerade bei Großprojekten mit internationalen Partnern“, so Dr. Koos.
Vertrauen durch Beständigkeit und Spezialisierung
Ein weiterer Vorteil: Die Commercial Courts sind mit besonders erfahrenen Richtern besetzt, die während des gesamten Verfahrens im Amt bleiben. „Anders als in der allgemeinen Zivilgerichtsbarkeit gibt es bei uns keine Personalwechsel, was die Qualität und Dauer des Verfahrens positiv beeinflusst“, erklärt Dr. Bodendiek.
Public Court statt Private Club
Während Schiedsverfahren oft als „closed shop“ kritisiert werden, setzen die Commercial Courts auf Transparenz und Justizkontrolle. Sie sind öffentlich, an das staatliche Verfahrensrecht gebunden – und dennoch so flexibel wie ihre privaten Konkurrenten.
„Bislang fehlte ein Ansatzpunkt, um komplexe wirtschaftliche Streitigkeiten zügig zu erledigen. Genau diese Lücke füllen die Commercial Courts“, bringt es Dr. Bodendiek auf den Punkt.
Fazit: Ein echter Quantensprung für Bauprozesse
Für Unternehmen der Bau- und Immobilienwirtschaft eröffnen die Commercial Courts eine neue Dimension: schnellere Verfahren, klare Strukturen, internationale Anschlussfähigkeit – und das zu attraktiven Konditionen. Wer in künftigen Verträgen clever plant, kann sich in Konflikten echte Vorteile sichern.
Was sind Commercial Courts?
Zuständigkeit: Wirtschaftsstreitigkeiten ab 500.000 Euro (§ 119b GVG)
Ort: Oberlandesgerichte in mehreren Bundesländern
Verfahren: Deutsch oder Englisch, öffentlich, mit Revisionsmöglichkeit
Besonderheiten: Organisationstermin (§ 612 ZPO), klare Verfahrensstruktur, gerichtliche Mediation möglich
Kosten: Deutlich günstiger als Schiedsverfahren
Ideal für: Komplexe Bau- und Wirtschaftsverfahren mit nationalem oder internationalem Bezug
