Start-ups, Flächen, Fachkräfte: Berlin macht München den Spitzenplatz streitig – und das schneller, als viele denken. Von Stefan Klingsöhr
Megatrends entwickeln sich stetig, aber langsam. Manchmal brauchen sie Jahrzehnte, um sich voll zu entfalten. In den 1990er-Jahren wurde Berlin über Gebühr gefeiert, weil die wiedervereinte Hauptstadt quasi über Nacht als politisches und kulturelles Zentrum Europas galt. Bald darauf wurde sie belächelt: als Stadt der Subventionen, Start-ups ohne Geschäftsmodell und vielen leerstehenden Büros.
Doch die Zeit arbeitet für Berlin. Dreißig Jahre nach der Wende zeigt sich: Die Stadt hat sich leise, aber entschlossen zu einer wirtschaftlichen Kraftmetropole entwickelt. 2024 war wirtschaftlich ein Jahr des Umbruchs, doch Berlin lieferte Wachstumsraten, Gründungszahlen und Büroflächennachfrage, die viele andere Städte in den Schatten stellen. München, das heute als stabilste und wirtschaftskräftigste Metropole Deutschlands gilt, bekommt also auf längere Sicht Konkurrenz. Nicht durch einen radikalen Bruch, sondern durch den strukturellen Aufstieg Berlins.
Wirtschaftsdynamik: Startup-Hub und Jobmotor
Berlins wirtschaftliche Entwicklung untermauert die These vom kommenden Spitzenplatz. 2024 wuchs das Berliner Bruttoinlandsprodukt dem Amt für Statistik Berlin Brandenburg zufolge um 0,8 Prozent und entwickelte sich damit deutlich besser als die stagnierende Gesamtwirtschaft Deutschlands (- 0,2 Prozent). München profitiert zwar von seiner starken Industrie- und Technologiebasis, deren Ansiedlung seit der Jahrtausendwende durch kluge politische Entscheidungen begünstigt wurde, doch Berlin überzeugt mit einem diversifizierten Dienstleistungssektor und boomenden Zukunftsbranchen. Besonders die Startup-Szene floriert in der Hauptstadt: Berlin bleibt Deutschlands unangefochtener Gründer-Hotspot. Allein Anfang 2024 entstanden gemäß dem Startupdetector-Report 2023/2024 in Berlin fast 2,5-mal so viele neue Startups wie in München. Dieser Gründergeist zieht Talente aus aller Welt an, und schafft kontinuierlich neue Arbeitsplätze in Technologie, Kreativwirtschaft und Dienstleistungen.
Die verglichen mit anderen deutschen Metropolen junge Bevölkerung Berlins befeuert diese Dynamik zusätzlich. Ein großer Pool an Hochschulabsolventen, Kreativen und internationalen Fachkräften sorgt für Innovationskraft. Unternehmen wie Google, Amazon oder Tesla (mit Gigafactory im Umland) haben die Strahlkraft Berlins erkannt und bauen ihre Präsenz aus. Die Funktion als Bundeshauptstadt bringt zudem administrative und politische Arbeitsplätze sowie eine internationale Sichtbarkeit, von der die Wirtschaftskraft profitiert.
Münchens Arbeitsmarkt ist aktuell noch etwas stärker (u. a. durch geringere Arbeitslosigkeit, höhere Produktivität bestehender Unternehmen), doch Berlin holt auch hier auf. Die Zeichen deuten darauf hin, dass Berlin seinen Status vom „Arm, aber sexy“-Image vergangener Jahre endgültig in Richtung eines führenden Wirtschaftsstandorts wandelt. Und gerade in Zeiten anhaltenden Fachkräftemangels siedeln sich Unternehmen dort an, wo sich junge Talente aufhalten.
Flächenreserven und neue Quartiere: Potenzial an der Spree
Ein zentraler Vorteil Berlins liegt in seinen Flächenreserven und städtebaulichen Entwicklungsmöglichkeiten. Die Stadt ist flächengrößer als München und hat vielfältige Areale, die für Gewerbe- und Büroentwicklungen nutzbar sind. Tatsächlich befinden sich in Berlin derzeit auch deutlich mehr in der Projektpipeline als in München. Großvorhaben wie die Europacity am Hauptbahnhof, das Quartier an der Mediaspree oder der Ausbau des Technologieparks Adlershof demonstrieren Berlins Fähigkeit, in kurzer Zeit viele neue Flächen bereitzustellen. Natürlich birgt ein hoher Projektumfang auch Herausforderungen (etwa temporär steigende Leerstände), doch angesichts der wirtschaftlichen Dynamik ist Berlin in der Lage, diese Flächen mittel- und langfristig zu füllen. München hingegen stößt in seinem verdichteten Stadtgebiet schneller an Grenzen; größere Neubauflächen entstehen dort vor allem durch Revitalisierung oder am Stadtrand, was das Wachstum limitiert.
Hinzu kommt Berlins urbane Vielfalt: Die Stadt ist polyzentrisch organisiert und entwickelt neue Hotspots jenseits der traditionellen Bürolagen. In München konzentriert sich das Spitzenmietniveau nach wie vor vornehmlich auf die Citylagen (etwa Altstadt, Ludwigsvorstadt). In Berlin dagegen verteilt sich die Nachfrage breiter über verschiedene Bezirke. Nicht mehr nur klassische Adressen wie die Friedrichstraße oder der Potsdamer Platz stehen im Fokus. Wachsende Quartiere wie Kreuzberg und Neukölln – einst vor allem für ihre Subkultur bekannt – ziehen heute zahlungskräftige Technologieunternehmen und Startups an. Für Investoren und Projektentwickler bedeutet das eine Fülle an Möglichkeiten – vom revitalisierten Altbau im Szene-Kiez bis zum hochmodernen Büroturm im neu erschlossenen Areal.
Die Unterschiede im Büromarkt zwischen Berlin und München beginnen zu schrumpfen. Münchens nachhaltig erzielbare Spitzenmiete für Büros ist mit rund 53,50 Euro pro Quadratmeter und Monat noch vor dem Wert für Berlin (46 €/m²). Diese Schere hat sich also spürbar verkleinert. Bemerkenswert ist zudem, dass Berlin bei den Durchschnittsmieten inzwischen die Nase vorn hat. Das signalisiert eine starke Nachfrage nach hochwertigen Flächen auch abseits der traditionellen Spitzenlagen.
Investmentpotenziale für die Zukunft
Ein stärkerer Wirtschaftsstandort Berlin dürfte auch künftig zu steigender Büronachfrage führen – insbesondere von expansiven Tech- und Dienstleistungsfirmen – und damit das Mietniveau weiter nach oben treiben. Marktbeobachter erwarten schon jetzt eine anhaltend positive Mietentwicklung bei hochwertigen Premiumflächen in Berlin.
Für die Branche bedeutet der Berlin-Boom, dass Investitionsstrategien neu ausgerichtet werden sollten: Wo früher München als unumstrittener Stabilitätsanker galt, avanciert nun Berlin zum Chancentreiber. Natürlich wird München auch künftig ein starker Markt bleiben – die Stadt hat nach wie vor höchste Kaufkraft und wichtige Unternehmenszentralen. Doch Berlin vereint Wachstum und Größe mit einer urbanen Dynamik, die Menschen wie Kapital gleichermaßen anzieht.
