Porträt von zwei Frauen, die nebeneinander stehen und lächeln.
Assia Amore (links) und Iris Schöberl sind die Köpfe hinter dem Engagement um Highstreetobjekte in Deutschland bei Threadneedle. (Quelle: ZIA, Laurence Chaperon, Columbia Threadneedle Investments)

Unternehmen & Köpfe 2025-07-29T07:43:46.695Z „Wir brauchen ein Recht auf Umbau“

Ein Gespräch mit Iris Schöberl und Assia Amore von Columbia Threadneedle über Luxus, Leerstand und Lösungsansätze für deutsche Einkaufsstraßen.

Frau Schöberl, Sie sind seit 25 Jahren im Münchner Büro tätig und haben maßgeblich das Geschäft mitgestaltet. Wie hat sich die Situation im deutschen Einzelhandel – insbesondere in den Innenstädten – aus Ihrer Sicht verändert?

Iris Schöberl: Wir investieren seit über zehn Jahren in rund 110 deutschen und europäischen Städten. Der Markt hat sich deutlich verändert – nicht zuletzt durch eine Überentwicklung von Einzelhandelsflächen in vielen Städten. Stuttgart ist ein extremes Beispiel: Dort hat sich die Retailfläche innerhalb von zehn Jahren verdreifacht. Dabei fehlt oft der Bezug zur realen Nachfrage. Viele Standorte können das wirtschaftlich nicht tragen. Dennoch bin ich grundsätzlich optimistisch. Wir stehen zwar vor strukturellen Herausforderungen. Aber in unseren Portfolios haben wir eine stabile Vermietungsquote von rund 94 bis 96 Prozent.

Wie erklären Sie sich diese hohe Vermietungsquote?

Iris Schöberl: Es zeigt, dass Qualität und Standortwahl entscheidend sind. Wir investieren gezielt: Standorte mit strategischer Relevanz, verlässlicher Frequenz und Zukunftspotenzial. Unsere Mietentwicklungen zeigen, dass zwischen 2015 und 2018 die Mieteneinnahmen um 12 Prozent gestiegen sind. Zwischen 2018 und 2024 sind die Einnahmen allerdings wieder um 13 Prozent gefallen. Das bedeutet: Wenn sich der Markt verändert, müssen wir mitziehen – durch Renovierungen, Umnutzung oder Anpassung der Konzepte.

Wie ist der Luxuseinzelhandel durch die Krisenjahre gekommen?

Assia Amore: Der Luxusbereich war sehr resilient. Während Standardsegmente teils Mietrückgänge von 15 Prozent verzeichneten, lag der Rückgang bei Luxus bei maximal 5 bis 9 Prozent. Wir hatten in unseren Portfolios keine negativen Reaktionen auf Mietanpassungen in diesem Segment – ein starkes Zeichen für Standortqualität.

Spielen deutsche Städte da international mit?

Assia Amore: Wir holen auf und Berlin ist mittlerweile ein Hotspot für Luxus. Über 30 neue Mietverträge am Kurfürstendamm in den letzten zwei Jahren – 50 Prozent davon aus dem Segment Luxus – sprechen eine klare Sprache. Köln, Düsseldorf und Hamburg folgen mit etwas Abstand. Wichtig ist aber: Luxusmarken denken global. Sie wollen Sichtbarkeit, Storytelling und Kontrolle über ihre Präsentation. Da reicht die Adresse allein nicht – Schaufensterbreite, Raumhöhe, Frequenz und Umfeld sind mindestens genauso wichtig.

Gibt es Unterschiede in der Wertschöpfung von Luxus- und Standardmietern?

Assia Amore: Definitiv. Luxusmarken investieren teils bis zu 10.000 Euro pro Quadratmeter in den Ausbau und das schlägt sich in den Immobilienwerten nieder. Gleichzeitig akzeptieren sie auch höhere Mieten – manchmal bei einem Umsatzmietanteil von 30 bis 35 Prozent, was im Mittelstand undenkbar wäre. Aber für sie ist das auch Werbung. Präsenz ist alles – Umsätze können hier manchmal auch sekundär sein.

Wie verändert sich Ihrer Meinung nach die Innenstadt?

Iris Schöberl: Die Innenstadt muss sich neu erfinden. Reiner Einzelhandel reicht nicht mehr. Freizeit, Gastronomie, Kultur und Wohnen – das alles muss sich integrieren. Die Menschen kommen nicht mehr nur zum Einkaufen, sondern suchen Erlebnis, Atmosphäre und Aufenthaltsqualität. Städte wie Paris oder Barcelona machen das eindrucksvoll vor.

Wie wichtig ist die Rolle von Gastronomie und Freizeitangeboten in der High Street?

Iris Schöberl: Ohne Gastronomie hätten viele Innenstädte die vergangenen Jahre kaum überstanden. Sie bringt nicht nur Laufkundschaft, sondern sorgt auch abends für Leben. Das Zusammenspiel von Shopping, Freizeit und Kulinarik ist essenziell. Investoren und Städte müssen sich über die Qualität Gedanken machen – Systemgastronomie allein reicht nicht.

Wie hoch ist der Aufwand, wenn man eine Retailfläche in eine Gastronomiefläche umwandeln möchte?

Iris Schöberl: Die Umwidmung von Gewerbe- in Gastroflächen hängt oft maßgeblich von den Kosten ab, die wir für Fettabscheider und Lüftung investieren müssten. Sind die Kosten zu hoch, ist eine Umwidmung unwirtschaftlich. Viele Gastrobetriebe suchen zudem eine Fläche mit Außenbestuhlung. Diese wird von Behördenseite jedoch immer wieder nicht genehmigt, auch dann lohnt sich eine Umwidmung nicht.

Wie oft sprechen Sie mit Städten oder Bürgermeister*innen über Herausforderungen wie Leerstand?

Iris Schöberl: Regelmäßig – oder wir versuchen es zumindest. Ein großes Problem: Die Verantwortlichkeiten sind oft unklar. Deshalb versenden wir aktiv Informationspakete an Bürgermeister*innen mit Ansprechpartnern für jede Immobilie. Wir brauchen aber auch klare Prozesse, zum Beispiel bei Bauanträgen. Derzeit dauert es oft zwei Jahre von der Planung bis zur Baugenehmigung – das ist nicht tragbar. Zwei Jahre für eine Nutzungsänderung sind heute realistisch. In dieser Zeit bleibt die Fläche leer – oder man improvisiert mit Interimsnutzungen, die oft nicht zur Positionierung passen. Wir brauchen dringend ein „Recht auf Umbau“, also deutlich schnellere Prozesse, wenn es um Umbau von Retailflächen geht.

Wie beurteilen Sie das aktuelle Investitionsumfeld?

Iris Schöberl: Aktuell sehen wir wenig Transaktionen, insbesondere bei Bestandsobjekten. Dennoch ist das Interesse an Core-Immobilien und High-Street-Lagen weiterhin hoch – besonders von institutionellen Investoren. Wir planen gezielte Zukäufe, aber keine großflächigen Neueinstiege in Deutschland. Institutionelle Investoren sind dennoch vorsichtiger geworden. 300-Millionen-Euro-Deals sind aktuell selten – heute sind 20 bis 30 Millionen realistisch. Aber: Wer jetzt investiert, bekommt gute Einstiegspreise. Wir kaufen derzeit selektiv nach – bei Bestandsobjekten mit Potenzial, nicht bei Neuentwicklungen.

Welche Länder sind dabei für Sie interessant?

Iris Schöberl: Neben Deutschland vor allem Frankreich, Spanien und Italien. Dort ist die Kultur des Einzelhandels emotionaler, der Umgang mit Marken strategischer. Trotzdem sehen wir in Deutschland stabile Werte – vor allem wegen der konservativen Bewertungspraxis. Anders als in London, wo viele Einzelhandelswerte um 40 Prozent gefallen sind, sehen wir hier moderatere Korrekturen.

Wie beurteilen Sie die Rolle des Tourismus?

Iris Schöberl: Er wird entscheidend. Städte wie Paris, Barcelona oder Mailand profitieren massiv von asiatischem Tourismus – auch weil dort das Markenbewusstsein gewachsen ist. Deutschland hinkt da hinterher, holt aber auf. Berlin und München entwickeln sich positiv. Wir brauchen aber mehr internationale Strahlkraft.

Sie feiern in diesem Jahr 25 Jahre Münchner Büro. Worauf sind Sie besonders stolz?

Iris Schöberl: Auf die Transformation unseres Geschäftsmodells – von einem klassischen Value-Add-Modell zu einem Cashflow-orientierten Ansatz mit institutionellen Investoren. Und vor allem auf mein Team. Viele Kolleg*innen sind seit über 20 Jahren an meiner Seite. Diese Kontinuität ist selten in unserer Branche.

Und was bleibt für die Zukunft?

Iris Schöberl: Vertrauen, Leidenschaft für die Arbeit – und Flexibilität. Die nächste große Veränderung kommt bestimmt. Ob Infrastruktur, Datenzentren oder neue Handelskonzepte: Wer zuhört und reagiert, wird auch in Zukunft erfolgreich sein.

Und persönlich?

Iris Schöberl: Ich werde nicht mehr 25 Jahre dranhängen, das ist klar (lacht). Aber ich bleibe neugierig, offen und überzeugt: Unsere Branche hat Zukunft. Immobilien sind kein Produkt, sondern ein Stück Stadt. Und Städte brauchen Menschen, die sie gestalten.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Iris Schöberl: Ganz klar: Ein „Umbaurecht“. Wir brauchen das Recht, eine Nutzung flexibel zu ändern – etwa von einer Bäckerei zu einem Starbucks –, ohne langwierige Genehmigungsverfahren. Es wird diesbezüglich über Genehmigungsfiktionen diskutiert. Wir brauchen allerdings auch eine Vollständigkeitsfiktion: Wenn nach einer bestimmten Zeit keine Rückmeldung kommt, gilt ein Antrag als vollständig und damit als genehmigungsfähig.

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zuletzt editiert am 29. Juli 2025