Ein großer Gebäudebestand ist am Start beim Rennen, an dessen Ziel der Netto-Null-Ausstoß von Treibhausgasemissionen steht.
Ein großer Gebäudebestand ist am Start beim Rennen, an dessen Ziel der Netto-Null-Ausstoß von Treibhausgasemissionen steht. (Quelle: Siemens AG)

Nachhaltigkeit & ESG 2. August 2022 Wie sich das Netto-Null-Rennen gewinnen lässt

Skalierbare Lösungen helfen bei der schnellen Dekarbonisierung des Immobilienbestandes, zeigt Arnaud Cipierre von Siemens Smart Infrastructure.

Das Ziel der EU-Kommission ist bekannt: Bis 2030 sollen die Netto-Treibhausgasemissionen in der EU gegenüber 1990 um mindestens 55 Prozent sinken. Bis 2050 soll Klimaneutralität erreicht werden. Hierbei ist vor allem der Gebäudesektor in der Pflicht.

Die größte Herausforderung für das europäische „Fit für 55“-Paket bildet der Bestand. Mehr als 220 Millionen Gebäudeeinheiten – 85 Prozent des Gebäudebestands der EU – wurden vor 2001 errichtet. 85 bis 95 Prozent dieser Gebäude werden auch im Jahr 2050 noch stehen und Energie verbrauchen.

Damit das Emissionsminderungsziel von 55 Prozent bis 2030 erreicht werden kann, ist nach Schätzungen der EU-Kommission eine enorme Summe nötig: 275 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen müssen aufgebracht werden – jährlich.

Der Weg zum Ziel ist äußerst anspruchsvoll. Es war aber schon vor Jahren absehbar, in welche Richtung es gehen würde. Daher haben sich viele Asset-Manager bereits freiwillig verpflichtet, rasch klimaneutral zu werden. Das Net Zero Asset Manager Pledge ist hierfür ein gewichtiges Beispiel. Siemens hatte als eines der ersten globalen Industrieunternehmen schon im September 2015 angekündigt, bis 2030 im operativen Geschäft klimaneutral zu werden und nur noch Gebäude zu besitzen oder zu mieten, die eine Netto-Null-CO2-Bilanz aufweisen.

Lösungen, wie die Gebäude während ihres gesamten Lebenszyklus energieeffizienter, weniger CO2-intensiv und nachhaltiger gestaltet werden können, sind damit zwingend erforderlich.

Zustand ermitteln und dadurch Transparenz schaffen

Der Weg zu klimaneutralen Gebäuden führt über zwei Stufen. So ist zunächst Transparenz durch exakte Zustandsermittlung zu schaffen und zu fragen: Wie sieht die aktuelle CO2-Bilanz aus? Dabei helfen technologische Lösungen wie Energie-Management-Plattformen, welche die Verbrauchsdaten von Gebäuden automatisch erfassen, auswerten und für Reporting und Analysen aufbereiten. Über maßgeschneiderte Dashboards erhalten Gebäudemanager und ESG-Beauftragte aggregierte Informationen über aktuelle Energieverbräuche und -kosten, CO2-Emissionen sowie andere relevante Kenngrößen.

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Besonders wichtig ist es, im Kontext steigender Regulierungen, wie zum Beispiel der EU-Taxonomie, mehr Transparenz über die Energieleistung eines Gebäudeportfolios zu schaffen. Immobilien, die nicht Taxonomie-konform sind, werden in Zukunft weniger stark am Markt nachgefragt sein und an Wert verlieren. Eigentümer brauchen dazu die notwendige Datengrundlage, um die von den Regulierern verlangte Nachweisführung zu erbringen. Gleichzeitig sollten Immobilienbesitzer die Nachhaltigkeitsqualität ihres Portfolios erhöhen und Dekarbonisierungsmaßnahmen umsetzen, um ihren CO2-Footprint dauerhaft zu senken.

Umsetzung der Dekarbonisierungslösungen

Durch das Monitoring, das zu einfachen Verbesserungsmöglichkeiten im Energieverbrauch führt, lassen sich in einem zweiten Schritt Dekarbonisierungsmaßnahmen entwickeln und umsetzen, um CO2-Neutralität zu erreichen. Kern einer langfristigen Dekarbonisierung ist die tatsächliche Reduzierung der CO2-Emissionen durch Steigerung der Energieeffizienz und Einsatz erneuerbarer Energien.

„Die beste Kilowattstunde ist die, die man nicht verbraucht“, heißt es ebenso augenzwinkernd wie zutreffend. Am Anfang stehen deshalb die Reduzierung des Energieverbrauchs und die Steigerung der Systemeffizienz im Fokus. Besonders interessant sind dabei Energie-Management-Plattformen. Diese ermöglichen es, Energieverbräuche und CO2-Emissionen bereits ohne investive Maßnahmen zu reduzieren. Mithilfe von Datenanalyse und Künstlicher Intelligenz ist es heutzutage möglich, Verbrauchsdaten zu analysieren, um Trends, Muster und Schwachstellen im Gebäudebetrieb zu erkennen.

Diese Plattformen führen unterschiedlichste Daten zu Gebäudeleistung, Anlagenzustand und Wartungsarbeiten zusammen, auf deren Grundlage sich fundiertere Entscheidungen treffen und erhebliche Verbesserungen und Einsparungen erzielen lassen. Effiziente Technik und intelligente Steuerung können enorme Einsparungen gewährleisten.

Auf die Energieeffizienzmaßnahmen folgt eine physikalische Reduzierung von CO₂ durch den gezielten Einsatz erneuerbarer Energien vor Ort. Beispiele sind Photovoltaik- oder Geothermieanlagen. Gerade der Wärme- und Stromverbrauch hat hier großes Potenzial, da er häufig noch auf fossile Brennstoffe setzt. Erneuerbare Energieträger wie Ökostrom oder Biomethan helfen dann, den Energiebedarf CO₂-neutral zu gestalten. Zu guter Letzt lässt sich CO2-Neutralität durch Kompensationsprojekte erzielen, etwa durch das Pflanzen von Bäumen und den Erwerb von Zertifikaten.

Dekarbonisierungsprojekte vereinfachen

Bis 2030 sind es nur noch wenige Jahre. Warum jedoch dekarbonisieren wir unsere Gebäude nicht mit der erforderlichen Geschwindigkeit? Viele Investoren und Asset-Manager sind verunsichert, etwa in Bezug auf die notwendigen Investitionen und den zu erwartenden Return on Investment (ROI). Oft wird ihnen zudem nicht die Zeit zugestanden und das nötige Fachwissen vermittelt, um einen klaren und vernünftigen Fahrplan zu entwickeln. Doch jeder Asset-Manager hat Gebäude in seinem Portfolio, die vor einer Renovierung stehen und in denen Dekarbonisierungsmaßnahmen dementsprechend leicht umgesetzt werden können.

Ein Asset-Screening bietet sich als schnelle und einfache Entscheidungsbasis für Dekarbonisierungsmaßnahmen an: Es  umfasst die Analyse des Energieeinsatzes und der Nutzung, identifiziert sinnvolle Maßnahmenoptionen unter Abschätzung der Wirtschaftlichkeit, erstellt einen Dekarbonisierungs- und Investmentfahrplan und ruft für die Kunden staatliche Fördermittel ab. Mit dieser Analyse wird deutlich und nachvollziehbar, was getan werden kann, wieviel es kostet, wie hoch der ROI ist und in welchem Umfang sich der CO2-Footprint verbessert. Diese Analyse kann dann als Grundlage für schlüsselfertige Lösungen dienen.

Autor: Arnaud Cipierre, Director Infrastructure Projekt Sales, Siemens AG, Smart Infrastructure

zuletzt editiert am 02.08.2022