Porträtbild René Fabian
René Fabian ist Geschäftsführer der Niersberger Group. (Quelle: Niersberger Group)

Nachhaltigkeit & ESG 2024-06-24T06:20:35.508Z Mit serieller Sanierung zur Klimaneutralität

Der seriellen Sanierung ist der große Durchbruch noch nicht gelungen – ein umfassender Mentalitätswandel ist notwendig, wie René Fabian, Geschäftsführer der Niersberger Group, erläutert.

In Deutschland eignen sich 3,8 bis 6,5 Millionen Wohneinheiten für eine serielle Sanierung. Das entspricht laut Umweltbundesamt einem Marktvolumen von bis zu 120 Milliarden Euro. Mit dem niederländischen Energiesprong-Konzept gibt es bereits eine erprobte Methode zur Realisierung. Doch auch mit großzügigen Förderungen wird es die serielle Sanierung in Deutschland schwer haben. Notwendig ist ein Mentalitätswandel auf allen Ebenen: In der Immobilien- und Bauwirtschaft ebenso wie in der Politik und Verwaltung – hin zu mehr Partnerschaftlichkeit, Innovation und Flexibilität. Von René Fabian

Der Gebäudebestand sorgt zurzeit in Deutschland für 35 Prozent des Energieverbrauchs und 33 Prozent der Treibhausgasemissionen. Die Sanierungsquote verharrt allerdings bei rund einem Prozent pro Jahr. Das ist weniger als die Hälfte von dem, was notwendig wäre, um das Ziel der Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 zu erreichen. Als Ursachen werden die gestiegenen Baukosten, der Fachkräftemangel, die höheren Zinsen, die Mietenregulierung und dergleichen benannt. Das alles ist aber nur ein Teil des Problems.

Nach wie vor gibt es einen recht einseitigen Fokus auf die Gebäudeenergieeffizienz. Bei der Klimaneutralität geht es um eine ausgeglichene Energiebilanz, also CO2-Neutralität, die durch Erhöhung der Energieeffizienz alleine nicht erreichbar ist. Zudem zahlen sich energetische Sanierungen über Einsparungen von Energiekosten schlicht nicht aus. Das zeigen die rückläufigen grünen Investitionen in den Gebäudebestand. Sie führen zu Belastungen der Haushalte, die bei weitem höher sind als die vielzitierte monatliche Kugel Eis. Wünschenswert wäre eine Rückkehr zum ordnungspolitischen Prinzip, sich auf die Zielvorgabe – in diesem Fall die Klimaneutralität – zu beschränken und die Suche nach Wegen hin zu diesem Ziel den Marktteilnehmern zu überlassen.

Von den niederländischen Nachbarn lernen

Aber richten wir den Blick nach vorne und über den Tellerrand: In den Niederlanden hat man das eben beschriebene Grundproblem frühzeitig erkannt und 2010 mit dem „Energiesprong“ ein Konzept für effizientes und finanzierbares serielles Sanieren eingeführt. Grundlage hierfür war die Zieldefinition einer „Nettonullsanierung“. Sie bedeutet, das Gebäude so zu sanieren, dass es im Jahressaldo genauso viel oder sogar mehr Endenergie, beispielsweise durch Photovoltaik oder Geothermie, produziert, wie es für Heizung, Warmwasser, Belüftung, Betriebs- und Haushaltsstrom verbraucht.

Kostenersparnisse werden dabei vor allem durch Standardisierung, Digitalisierung und Skalierung des Sanierungsprozesses sowie durch Vorfertigung einheitlicher Komponenten wie Fassadenteile und Technikmodule in großen Stückzahlen erzielt. Gleichzeitig sinkt der zeitliche und personelle Aufwand für die Umbauarbeiten vor Ort. Innerhalb von nur wenigen Tagen bis Wochen ist es möglich, ein Gebäude auf Nettonullenergie-Standard zu bringen. Sinnigerweise waren es kommunale Wohnungsbaugesellschaften, die ihre Portfolios für die ersten Sanierungsprojekte zur Verfügung stellten. Eine gewisse Portfoliogröße ist für den Produktionsstart der Vorfertigung wünschenswert.

In der Anfangsphase wurde für das Konzept eine staatliche Anschubfinanzierung bereitgestellt und die Nutzung nationaler und europäischer Fördermittel ermöglicht. Zuschlagsvoraussetzung für den Sanierungsauftrag war unter anderem eine Garantie der Einhaltung der vereinbarten Energieleistung über einen meist auf 25 Jahre festgelegten Mindestzeitraum. Um den Anreiz für den sparsamen Umgang mit Energie zu erhalten, wurden mit den Bewohnern Verträge abgeschlossen, in denen neben der Miete auch ein angemessenes Energiekontingent festgelegt war. Überschreitungen wurden zusätzlich in Rechnung gestellt. Durch die Standardisierung und Digitalisierung konnten die Planungs- und Genehmigungszeiten deutlich gesenkt werden. Abgesehen von den verbindlichen Zielvorgaben ist das Energiesprong-Konzept von den Bauunternehmen so flexibel interpretierbar, dass sie eigene Lösungen für die Kostensenkung entwickeln können.

Das Konzept hat sich in den Niederlanden inzwischen als erfolgreiches Modell etabliert und ist auch auf mittlere und größere Mehrfamilienhäuser, wie sie anderenorts im sozialen Wohnungsbau weit verbreitet sind, übertragbar.  Es wird inzwischen auch in anderen Ländern wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien in Pilotprojekten umgesetzt. Noch verbreitet es sich allerdings nicht in der ursprünglich erwarteten Dynamik.

Hemmschuhe und Anreize

Das Umweltbundesamt benennt dazu in seiner Studie über serielle Sanierung in Europa und Deutschland einige Hemmnisse, die sowohl die Niederlande als auch die Nachahmer-Länder einschließlich Deutschland betreffen. Einige davon sind nur schwer zu beeinflussen. Dazu zählen die schwierige konjunkturelle Lage und die mangelnde Stabilität politischer Rahmenbedingungen. Hinzu kommen insbesondere in Deutschland bürokratische und rechtliche Hürden. Ohne ins Detail gehen zu wollen, resultieren diese beispielsweise aus dem föderalen Baurecht mit seinen 16 verschiedenen Bauordnungen, den dringend reformbedürftigen Regelungen zum Mieterstrom und der strikten Trennung von Wärme- und Stromversorgung von Mieterhaushalten.

Positiv gesehen gibt es Anreizfaktoren, die den Durchbruch einer flächendeckenden seriellen Sanierung bewirken können: Attraktive Mieterstrommodelle zählen ebenso dazu wie Einspeisevergütungen für den Einsatz von Photovoltaik. Vergaberechtlich empfiehlt sich der Einsatz von Generalübernehmern, um die digitale Planung und ihre Ausführung mittels Vorfertigung sicherstellen zu können. Die derzeitige Marktlage unter den Anbietern serieller Sanierungen zeigt auf, dass Services aus einer Hand von der Planung bis zur schlüsselfertigen Übergabe einen Wettbewerbsvorteil generieren. Die damit erfolgte Gewerkereduzierung ermöglicht Sanierungen innerhalb weniger Wochen – eine im Hinblick auf die straffe Zeitplanung der kommunalen Klimaschutzziele effektive Zeitvorgabe.

Ein Beitrag von René Fabian, Geschäftsführer der Niersberger Group.

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zuletzt editiert am 24. Juni 2024