Annika Steiner
Annika Steiner, Director Data Analytics Technology bei Wüest Partner. (Quelle: Wüest Partner)

Digitalisierung

9. February 2023 | Teilen auf:

Dekarbonisierung: Ohne digitale Tools nicht machbar

Besonders für den Immobiliensektor, einen der großen Klimasünder, ist das Gebot der Stunde die CO2-Reduktion. In der Dekarbonisierungs-Debatte kommen die Mittel, die Ziele zu erreichen, oft viel zu kurz. Sind diese ohne digitale Tools überhaupt erreichbar? Von Annika Steiner

Um die Dekarbonisierung zu schaffen, bleiben uns etwas weniger als 25 Jahre. Schon jetzt denken einige, die Pariser Klimaziele – eine Erwärmung von nur 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter – sind nicht mehr erreichbar. Auch wenn das neue Ziel heißt, diese Marke so knapp wie möglich zu verpassen, steht die Immobilienwirtschaft als Verursacher von rund 40 Prozent der Emissionen in Deutschland vor einer besonderen Herausforderung.

Geht es nach den 2021 verabschiedeten Plänen der Regierung, müssen bis 2045 ganze 90 Prozent der Gebäude entweder saniert oder neu gebaut werden. Die größte Herausforderung von allen: Dieser Paradigmenwechsel soll gleichzeitig wirtschaftlich sein.

Dekarbonisierung wirtschaftlich gestalten

Damit der Spagat zwischen Klimazielen und Wirtschaftlichkeit nicht zur Zerreißprobe wird, gibt es vereinfacht drei Strategien. Die erste ist: nichts tun. Das geht allerdings nur, wenn Gebäude schon jetzt klimaneutral wären, das aber fast nie der Fall ist. Die zweite Strategie ist ein Ersatzneubau. Also das klimaschädliche Gebäude abzureißen und durch ein klimaschonendes zu ersetzen, das in jedem Fall aber auch CO2 verursacht. Die Dritte ist die energetische Sanierung. Eindeutig die Strategie, die am ehesten in Frage kommt – und genau die, die am meisten Herausforderungen bietet.

Denn eine energetische Sanierung kann auf so vielen Wegen geschehen, von Dämmmaßnahmen bis hin zu neuen Heizungssystemen, was von vielen Faktoren abhängt - Standort, Baujahr, Geschossanzahl, Energieträger -, sodass der Überblick schnell verloren geht. Ganz zu schweigen von den weiteren Faktoren: die Art der Stromerzeugung, ob schon energetische Sanierungsmaßnahmen durchgeführt wurden und wenn ja, welche? An den Fenstern, den Wänden, dem Dach, der Wärmeerzeugung?

Die Zeit für Experimente fehlt

Da für mögliche Sanierungen die zeitlichen, fachlichen und finanziellen Ressourcen knapp sind, bleibt für Experimentieren keine Zeit. Die nächste energetische Sanierungsmaßnahme muss die richtige sein oder zumindest eine, die das beste Verhältnis zwischen Aufwand und CO2-Einsparung bietet. Damit wird gelinde gesagt viel Druck erzeugt – und Druck ist für ein kühles Kalkulieren selten förderlich. Doch um die Erderwärmung so niedrig wie möglich zu halten, ist gerade ein kühler Kopf notwendig.

Wie lässt sich im Vorhinein sagen, welche Sanierungsart von all den Möglichkeiten die effizienteste sein wird? Die Erfahrungswerte bei Immobilien ähnlicher Bauart helfen nur bedingt. Ein belastbares Raten oder ein fundiertes Fingerspitzengefühl können natürlich nie vollkommen falsch sein. Aber idealerweise wird eine Entscheidung getroffen, die sich auf die bestmögliche Informationslage stützt und die erlaubt, mehrere Szenarien durchzuspielen, um das sinnvollste auszusuchen.

Szenarien digital durchspielen

Da hilft nur eins: Simulation. Diese ist nur dann machbar, wenn das Objekt - oder im Falle von Portfolios, die Objekte - digital erfasst sind, und zwar so genau wie möglich. Damit lassen sich unterschiedliche Sanierungsmaßnahmen durchspielen und deren Kosten mit deren Einsparungen vergleichen. Da viele Gebäude aus einer Zeit kommen, in der an CO2-Reduktion noch nicht zu denken war, sollten solche Tools eine Datenbank mit so vielen vergleichbaren Gebäuden wie möglich bieten. Bei guten Tools sind das mehrere 10.000 Beispiele, dank der sich die unterschiedlichsten Immobilien so gut wie möglich abbilden lassen.

Zusätzlich begrenzen sich solche Anwendungen nicht nur auf die Berechnung der energetischen Einsparungen und die Auswahl der sinnvollsten Strategien, sondern sie erlauben zusätzlich die Auswirkungen auf den Immobilienwert zu kalkulieren. Dafür werden umfangreiche Standortdaten einbezogen, wie zum Beispiel die Anzahl und das Volumen der Immobilientransaktionen, ÖPNV, Infrastruktur, Schulen, Erholungsgebiete.

Digitalisierung braucht den Überblick

Klar ist: Ohne Digitalisierung ist die Dekarbonisierung nicht zu schaffen, zumindest nicht im Immobiliensektor. Um wirkungsvoll zu sein, müssen Tools dieser Art an Organisationen angedockt sein, die nicht nur die Daten permanent aktualisieren, sondern sie auch weiterentwickeln. Mit anderen Worten, ein gutes Tool kommt selten allein, sondern stützt sich auf ein gutes Entwicklerteam begleitet von Experten, die entsprechende Immobilien- und Nachhaltigkeitskenntnisse haben.

Aufgrund der Komplexität ist es sehr ratsam, sich bei der Auswahl auf spezialisierte Berater zu stützen, die den entsprechenden Marktüberblick haben und so Bedürfnisse des potenziellen Kunden mit den Vorteilen einzelner Tools oder Toolfamilien in Übereinstimmung bringen. Die in der Immobilienbranche häufig für eine Vertragsbeziehung entscheidende Vertrauensbasis ist auch hier sicher sinnvoll, aber nicht ausreichend.

zuletzt editiert am 09.02.2023