Was ist die Risikovorsorge einer Bank? Und wie funktioniert sie? Andreas Schenk, Chief Risk Officer der Pfandbriefbank PBB, steht Rede und Antwort.
Herr Schenk, die Risikovorsorge der PBB ist in den ersten neun Monaten im Vergleich zu den Vorjahren deutlich gestiegen. Zunächst einmal ganz allgemein: Um welche Risiken geht es bei der Vorsorge?
Andreas Schenk: Bevorsorgt wird das Kreditausfallrisiko. Dies ist das Risiko, dass die Zahlungen für die Kredittilgungen und -zinsen vom Kreditnehmer nicht oder nicht vollständig geleistet werden.
Wieso geht die PBB derartige Risiken ein?
Andreas Schenk: Die Übernahme des Kreditausfallrisikos ist ein elementarer Teil des Geschäftsmodells einer Bank wie der PBB. Eine Bank nimmt auf der einen Seite Gelder herein. Auf der anderen Seite vergeben Banken Kredite an ihre Kunden, die Kreditnehmer. Eine Bank ist also eine Vermittlerin zwischen Sparern und Kreditnehmern.
Dabei übernehmen die Banken das Risiko, dass ihre Kreditnehmer ausfallen. Auch die PBB als Bank geht dieses Risiko ein. Bei der Kreditvergabe verfolgen wir jedoch einen risikokonservativen Ansatz. Das heißt, wir analysieren den Kreditnehmer und das finanzierte Objekt – bei uns gewerbliche Immobilien – genau. Nichtsdestotrotz, es verbleibt immer ein Restrisiko.
Was gehört alles zur Vorsorge?
Andreas Schenk: Risikovorsorge beginnt bereits vor der eigentlichen Bevorsorgung mit genauen, vorsichtig definierten und konservativen Vergabestandards. Dazu zählt eine akribische Analyse, die Beschränkung auf stabile Geschäftsfelder und zukunftsstarke Lagen, niedrige Beleihungswerte und einiges mehr.
Werden definierte Vergabestandards nicht eingehalten, kommt es zur Risikovorsorge im engeren Sinn. Diese wird zur bilanziellen Vorsorge und bezieht sich auf das Rechnungswesen. In diesem bilden wir eine bilanzielle Vorsorge für Kreditausfälle. Es geht also um die Abbildung des Kreditausfallrisikos unserer Finanzierungen in unserer Bilanz. Die Zuführungen und Auflösungen der Risikovorsorge belasten beziehungsweise begünstigen unsere Gewinn- und Verlustrechnung und wirken sich somit unmittelbar auf unser Ergebnis aus.
Gibt es hierfür Regelungen?
Andreas Schenk: Ja, sogar sehr umfangreiche und durchaus komplexe. Die PBB bilanziert in ihrem Konzernabschluss nach den International Financial Reporting Standards (IFRS). Hierbei handelt es sich um ein Regelwerk zur Bilanzierung, das in über 100 Ländern der Welt angewendet wird. Die Bemessung und Bilanzierung der Risikovorsorge ist im Standard IFRS 9 geregelt.
Wie sehen diese Regelungen im IFRS 9 aus?
Andreas Schenk: Nach IFRS 9 ist grundsätzlich für alle Finanzierungen eine Wertberichtigung für erwartete Kreditverluste in der Bilanz zu erfassen. Diese Wertberichtigung wird allgemein als Risikovorsorge bezeichnet. Entscheidend ist hierbei, dass diese Risikovorsorge bereits zu bilden ist, wenn der Kreditverlust erwartet wird. Die Wertberichtigung ist also nicht erst zum Zeitpunkt des Eintretens des eigentlichen Ausfalls zu buchen. Hiermit soll sichergestellt werden, dass Wertberichtigungen nicht zu spät und nicht in zu geringem Umfang gebildet werden.
Wird die Risikovorsorge für alle Finanzierungen gleich bemessen?
Andreas Schenk: Nein, hierzu sieht IFRS 9 ein dreistufiges Schema vor:
- Stufe 1: Zum Zeitpunkt der Vergabe sind grundsätzlich alle Finanzierungen der Stufe 1 zuzuordnen. Die einzige Ausnahme bilden Finanzierungen, die bereits zum Zeitpunkt der Vergabe Indikationen für eine beeinträchtigte Bonität haben. Da die PBB solche Kredite nicht neu vergibt, klammere ich diesen Aspekt aus.
- Stufe 2: Es kann sein, dass sich das Ausfallrisiko seit der Kreditvergabe signifikant erhöht hat. Der Kredit wechselt dann in die Stufe 2, vorausgesetzt, es gibt weiterhin keine Indikationen für eine beeinträchtigte Bonität der Finanzierung. Ein Kriterium für den Wechsel in die Stufe 2 ist zum Beispiel ein Zahlungsverzug des Kunden von mehr als 30 Tagen oder eine Erhöhung der Ausfallwahrscheinlichkeit der Finanzierung um das 2,5-Fache im Vergleich zum Zeitpunkt der Kreditvergabe. Wie gesagt, diese Finanzierungen haben aber keine Indikationen für eine beeinträchtigte Bonität. Man spricht hier auch von nicht-notleidenden Finanzierungen.
- Stufe 3: Wenn es Indikationen für eine beeinträchtigte Bonität der Finanzierung wie beispielsweise einen Vertragsbruch oder eine wahrscheinliche Insolvenz des Kunden gibt, wechselt die Finanzierung in die Stufe 3. Sollte sich das Ausfallrisiko einer Finanzierung verringern, sind auch Wechsel zurück in eine niedrigere Stufe möglich.
Welche Informationen und Daten sind für die Bemessung der Risikovorsorge zu berücksichtigen?
Andreas Schenk: Für die Bemessung der Risikovorsorge sind Informationen über vergangene Ereignisse, gegenwärtige Bedingungen und Prognosen künftiger wirtschaftlicher Bedingungen heranzuziehen. Es folgt also ein Blick in die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Wichtig ist dabei, dass nicht nur Erfahrungen aus historischen Verlusten zu berücksichtigen sind. Es sind vielmehr auch Zukunftserwartungen relevant.
Welche Zukunftserwartungen sind dies?
Andreas Schenk: Zum einen ist dies die Einschätzung über die weitere Entwicklung der Finanzierung und des Kreditnehmers. Zum anderen geht es aber auch um generelle wirtschaftliche Bedingungen. Dies können zum Beispiel die erwarteten Entwicklungen von volkswirtschaftlichen Parametern wie dem Bruttoinlandsprodukt oder der Arbeitslosenrate, des Zinsniveaus oder der Immobilienpreise sein.
Üblicherweise – und so machen wir es auch in der PBB – basieren die Prognosen der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung auf externen Quellen. Wichtige Quellen sind beispielsweise die Europäische Zentralbank oder nationale Zentralbanken.
Kommen wir zur Entwicklung der Risikovorsorge der PBB. Diese ist im Jahr 2023 im Vergleich zu den Vorjahren deutlich gestiegen. Woran lag das?
Andreas Schenk: Wir sehen derzeit eine Krise am Markt für gewerbliche Immobilien. Ursache für diese Krise ist unter anderem der starke Zinsanstieg in den letzten rund 1,5 Jahren. Infolge einer hohen Unsicherheit über die weitere Marktentwicklung in Europa und insbesondere in den USA lag das Investitionsvolumen in den ersten Monaten 2023 deutlich unter dem Niveau des Vorjahreszeitraums. Im Zuge der nachlassenden Nachfrage nach gewerblichen Immobilien kommt es zu fallenden Preisen über alle finanzierten Objektarten hinweg. Es kam dabei auch schon zu Rettungserwerben infolge von notleidenden Finanzierungen in den USA, aber auch in anderen Regionen. Die höhere Risikovorsorge der PBB reflektiert diese Entwicklung.
Was sind die Ursachen für den Anstieg der Risikovorsorge im dritten Quartal 2023?
Andreas Schenk: Die Krise an den Immobilienmärkten dauert deutlich länger als zunächst angenommen. Eine Stabilisierung der Immobilienmärkte wird im ersten Halbjahr 2024 erwartet, eine Erholung der Märkte hingegen erst in der zweiten Jahreshälfte 2024.
Infolge der gegenwärtigen und prognostizierten Entwicklung der Immobilienmärkte ist unsere Risikovorsorge gestiegen. Die höhere Risikovorsorge für Stufe-3-Finanzierungen betraf insbesondere Finanzierungen in den USA. Die Risikovorsorge für Finanzierungen der Stufen 1 und 2 stieg vor allem durch eine Erhöhung der Ausfallwahrscheinlichkeiten bei einzelnen Finanzierungen und aufgrund der Aktualisierung der Bewertungsparameter.
Auf der anderen Seite konnte der PBB-Konzern den zum 30. Juni 2023 noch bestehenden Management Overlay nunmehr vollständig auflösen, da sich die antizipierten Unsicherheitsfaktoren in der Berichtsperiode konkretisiert haben und daher in der Bemessung der Risikovorsorge berücksichtigt sind.
Bedeutet dies, dass die PBB das Geld in der Risikovorsorge aus der Finanzierung bereits verloren hat?
Andreas Schenk: Nein, dies bedeutet nicht, dass wir das Geld aus diesen Finanzierungen bereits verloren haben. Es geht stattdessen – wie gesagt – um einen erwarteten Kreditausfall auf Basis von Einschätzungen und Annahmen.
Womit wir in der Zukunft wären. Wie geht es weiter?
Andreas Schenk: Es gibt das schöne Zitat: „Prognosen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen.“ Dies gilt in den momentan unsicheren Zeiten umso mehr.
Aber um konkreter zu werden: Die Bemessung der Risikovorsorge basiert – wie weiter oben dargestellt - unter anderem auf Prognosen künftiger wirtschaftlicher Bedingungen. Aufgrund der derzeit sehr dynamischen Entwicklung der Märkte ist es möglich, dass auch im vierten Quartal erneut ein Zuführungsbedarf zur Risikovorsorge erforderlich sein wird. Dies kann auch einen Management Overlay für nicht in den Modellen zur Bemessung der Risikovorsorge berücksichtigte Risiken und Unsicherheiten beinhalten.
Eine Stabilisierung der Immobilienmärkte wird im ersten Halbjahr 2024 erwartet, eine Erholung der Märkte hingegen erst in der zweiten Jahreshälfte 2024.
