In großen deutschen Städten ist innerstädtischer Baugrund Mangelware. Um den Wohnungsbedarf zu decken, entstehen komplett neue Stadtteile in Randbezirken. Vier Beispiele - und auf welche Kritik sie stoßen.
Mangel an Wohnraum: Dieses Problem hat heute praktisch jede wichtige Stadt in Deutschland. Nachverdichtungsmaßnahmen helfen oft nur in überschaubarem Rahmen, und die meisten großen Brachen sind mittlerweile entwickelt.
Eine Lösung, oder zumindest einen Beitrag zu einer solchen, sehen Stadtplaner inzwischen wieder öfter in der Entwicklung kompletter neuer Stadtteile. Diese sollen auf einen Schlag Wohnraum für Tausende schaffen, ernten aber auch regelmäßig Kritik. Letztere dreht sich um bedrohte Natur, Versiegelung von Flächen, aber auch um die Infrastruktur. Das Für und Wider solcher Projekte zeigt sich exemplarisch bei den folgenden Vorhaben, die quer durch die Republik geplant sind.
Projekt 1: München Zamdorf-Daglfing
Die bayerische Landeshauptstadt hat Erfahrung mit Stadtteilen nach Plan, allerdings nicht nur die besten. So wurden in den 1960/70er Jahren in Neuperlach und am Hasenbergl sogenannte Entlastungsstädte errichtet, Projekte, die man heute sicherlich anders angehen würde. Für eine knapp 600 Hektar große Fläche im Münchener Nordosten wird es nun vielleicht auch deshalb einen städtebaulichen und landschaftsplanerischen Ideenwettbewerb geben. Der soll nach dem Willen der Beteiligten Entwicklungsperspektiven aufzeigen, wie dort Quartiere für rund 30.000 Menschen sowie 10.000 Arbeitsplätze entstehen können.
Bis Mitte dieses Jahres soll geklärt werden, welche Eckdaten in das Wettbewerbsverfahren einfließen. Stadtbaurätin Elisabeth Merk bezeichnete das Projekt, das im Jahr 2016 auch für viele Marktkenner recht überraschend vorgestellt wurde, als „eine ganze Portion größer als Freiham“, die damals umfangreichste Entwicklung der Stadt (siehe nächster Absatz).
Kritik kam und kommt vor allem mit Blick auf die angenommene Zerstörung von Lebensräumen für Tiere und Pflanzen. Dabei wird auch die Geschichte des Gebiets mit Trabrennbahn – diese wird noch bis mindestens 2022 genutzt werden – und Pferdehöfen bemüht.
Projekt 2: München Freiham
Verließ man München früher Richtung Westen, so kam eine Weile nichts als Grün und ein Gutshof mit Kirche und Biergarten – Gut Freiham –, bevor man die Nachbarstadt Germering erreichte. Seit einigen Jahren sieht das anders aus. Die Vorhut bildeten Gewerbeflächen, es folgten Büros, Arztpraxen, Schulen und sukzessive Wohnungen, um die es bei der Entwicklungsmaßnahme eigentlich geht.
Seit den 1960er Jahren galt Freiham als Siedlungsreserve, inzwischen kann man hier wirklich einem Stadtteil beim Entstehen zusehen. Im ersten Schritt soll dabei Wohnraum für gut 10.000 Menschen geschaffen werden, in spätestens 20 Jahren sollen sich hier 25.000 Menschen heimisch fühlen können. 2024 soll Bauabschnitt eins mit 4.400 Wohnungen auf etwa 85 Hektar fertiggestellt werden. Die für Bauabschnitt zwei vorgesehenen 57 Hektar sollen nach Umplanung noch effizienter genutzt werden, aktuell sind hier 5.000 bis 6.000 Wohnungen geplant.
Gebaut wird zumindest im ersten Abschnitt von den städtischen Wohnungsgesellschaften GWG und Gewofag, Genossenschaften sowie Baugemeinschaften. Den Bedenken hinsichtlich eines Verkehrskollapses treten die Planer unter anderem mit zwei S-Bahn-Stationen und dem Ausbau der U-Bahn entgegen. Ob dies letztlich ausreichen wird, muss sich noch in der Praxis zeigen, zumal die U-Bahn erst in einigen Jahren kommen wird. Bereits jetzt lässt sich ein kleiner Trost für diejenigen finden, die das Verschwinden von Grünflächen beklagen: Westlich des neuen Stadtteils soll bis 2022 ein 58 Hektar großer Park entstehen, der das Quartier von der Autobahn trennt.
Projekt 3: Frankfurter Nordwesten
Einen Namen hat das geplante Quartier im Nordwesten der Mainmetropole noch nicht, vieles andere ist dagegen schon klar. Nach dem Wunsch der Frankfurter Stadtregierung soll zwischen dem Stadtteil Niederursel und der Nachbargemeinde Steinbach in rund 10.000 Wohnungen Raum für bis zu 30.000 Menschen entstehen. Hierzu sollen etwa 190 Hektar der insgesamt fast 550 Hektar großen Fläche bebaut werden. Im Dezember 2017 wurden dazu vom Planungsausschuss im Rathaus „vorbereitende Untersuchungen“ beschlossen. Mit diesen soll bis zum kommenden Jahr geklärt werden, ob und wie der neue Stadtteil realisiert werden kann.
Geht es nach den zahlreichen Kritikern, so dürften den Untersuchungen keine weiteren Maßnahmen folgen. Für Unmut sorgen unter anderem die sogenannte „Vernichtung von Ackerland und Grün“, die mangelnde Einbindung der angrenzenden Gemeinden sowie die Angst, der angestrebte Wohnraum könne nur durch den Bau von Wohnhochhäusern erreicht werden. Erschwert wird das Projekt zusätzlich durch die Autobahn A5, die durch das zur Bebauung vorgesehene Gebiet verläuft. Auch Frankfurts Planungsdezernent Mike Josef kennt die Schwierigkeiten und Einwände, macht aber klar: „Wer eine bezahlbare Wohnung sucht oder sich die Bevölkerungsentwicklung anschaut, der weiß, dass an einem neuen Stadtteil kein Weg vorbeiführt.“
Projekt 4: Hamburg Oberbillwerder
Ende Mai dieses Jahres soll die Entscheidung fallen. Vier Entwürfe sind derzeit beim Ideenwettbewerb noch im Rennen. Anhand des siegreichen Beitrags soll dann der Masterplan für das größte Neubaugebiet Hamburgs seit der Hafencity erarbeitet werden. Konkret soll die stadteigene Entwicklungsgesellschaft IBA in Oberbillwerder, im Südosten der Hansestadt gelegen, Wohnraum für etwa 15.000 Menschen schaffen, ergänzt durch kleine Handwerks- und Produktionsstätten.
Hierzu sollen knapp 125 Hektar mit verdichteten, mehrgeschossigen Gebäuden, aber auch mit Einfamilien-, Doppel- und Reihenhäusern bebaut werden. Das Ziel ist, die anvisierten bis zu 7.000 Wohneinheiten sowie Kleinbetriebe so zu realisieren, dass möglichst große Grünflächen erhalten bleiben. Dennoch kritisieren Umweltverbände, dass mit dem Projekt zu viele Naturflächen vernichtet würden. Wie sehr sich dieser Einwand letztlich in den Planungen niederschlagen wird, bleibt abzuwarten. Bis Mitte der 2020er Jahre sollen die ersten Bauabschnitte des Quartiers fertiggestellt sein.
Autor: Matthias Autenrieth