Gräberreihen mit Wohnhäusern im Hintergrund
Ruhiges Wohnen an oder auf Friedhofsflächen? (Quelle: David Taljat/istockphoto)

Standorte & Märkte 18. September 2022 Neben Oma wohnen

Innerstädtische Friedhöfe sind einer der größten Flächenverbraucher in den Zentren. Gleichzeitig werden immer weniger Menschen in klassischen Erdgräbern bestattet. Könnten Friedhöfe das
Baulandproblem lösen?

Bauland ist rar und teuer. Das gilt besonders für die Metropolen der Republik. Einer der größten Flächenverbraucher sind die letzten Ruhestätten unserer Mitmenschen. Könnte die Umwidmung von Friedhöfen eine Lösung für das Flächenproblem sein?

Deutschlands Innenstädte haben ein Platzproblem. Stetiger Zuzug in die Städte sorgte dafür, dass Mieten und Kaufpreise seit Jahren nur eine Richtung kennen – aufwärts. Leisten können sich das nur noch die wenigsten. Den Städten geht dabei vor allem die kulturelle Vielfalt verloren, denn immer mehr Familien, Geringverdiener und junge Paare sind gezwungen aufs Land zu ziehen. Nachverdichtung und Umwidmung von beispielsweise Büroflächen wirken nur wie der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

Gleichzeitig erlebt Deutschland ein anderes Phänomen: Der Anteil der Erdbestattungen geht stetig zurück. Lag er 1960 noch bei 90 Prozent, sank er 2020 auf nur noch 26 Prozent. Immer beliebter werden Feuerbestattungen mit Urnengrab, aber auch Waldfriedhöfe, See- oder anonyme Bestattungen werden immer beliebter. „Der Trend hin zur Feuerbestattung und damit zu Platz sparenden Urnengräbern hinterlässt auf vielen Friedhöfen nicht mehr benötigte Freiflächen, sogenannte Überhangflächen“, argumentiert Alexander Helbach von der Verbraucherinitiative Bestattungskultur Aeternitas e.V. Problematisch seien diese vor allem deshalb, weil sie weiterhin Pflege- und Unterhaltungskosten verursachen und somit die Gebührenhaushalte belasten würden. „Schon heute werden teilweise mehr als 50 Prozent der Friedhofsflächen nicht mehr für Bestattungen genutzt“, so Helbach weiter.

Um dem Problem der Überhangflächen zu begegnen, bestünden für die Friedhofsträger grundsätzlich zwei Handlungsoptionen: Sie könnten entweder die nicht benötigten Flächen für andere öffentliche Zwecke bereitstellen oder sie veräußern. Die Überlassung der Nutzung von Friedhofsflächen sei naturgemäß ein konfliktträchtiges Thema, weil nicht nur Wirtschaftlichkeitskriterien eine Rolle spielen würden, sondern eine Vielzahl weiterer Aspekte zu berücksichtigen seien, so Helbach.

Nicht zuletzt spielt der Gesichtspunkt der Pietät eine Rolle. In der Regel wird erwartet, dass auch nach Ablauf bestehender Ruhefristen behutsam mit den Flächen verfahren wird, auf denen Beisetzungen stattgefunden haben. Dazu gehört auch, dass man in den nächsten Jahrzehnten eher keine Bebauung vornimmt – oder aber sämtliche sterblichen Überreste aufwendig umbettet.

Für Helbach bietet sich die Nutzung als Bauland insbesondere für nicht mehr benötigte sogenannte Vorhalteflächen an. Hierbei handelt es sich um Bereiche, die für zukünftige weitere Bestattungen bereitgehalten wurden, als man noch davon ausging, dass es grundsätzlich mehr Todesfälle geben werde und dass der Anteil der Sargbeisetzungen weitaus höher bliebe. Diese Flächen sind nicht pietätbehaftet und liegen in der Regel an den Randbereichen der Friedhöfe, können somit also relativ problemlos abgetrennt werden.

Auf der anderen Seite sind gerade auch die innerstädtischen Friedhöfe ein Ort der Ruhe inmitten des Trubels und nicht selten die letzte Rückzugsmöglichkeit für die tierischen Bewohner der Stadt. Letztlich bleibt auch die Frage, wer mit Blick auf Gräber wohnen möchte. Zwei Vorteile hätte es: unverbaubarer Blick und unendliche Ruhe.

zuletzt editiert am 18.09.2022