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Und tschüß! Die Pläne für den Austritt der Briten aus der EU werden langsam konkreter (Foto: Montse Monmo/unsplash.com)

Standorte & Märkte 17. January 2017 Konkrete Brexit-Pläne: Meinungen & Stimmungen

Seit heute ist klar: Großbritannien will den harten Brexit - keine assoziierte Partnerschaft nach dem Vorbild der Schweiz oder Norwegens. Stimmen aus London und die Folgen für Anleger und Investoren.

Langsam wird der Brexit konkreter. Bei ihrer heutigen Grundsatzrede hat die britische Premierministerin Theresa May erstmals deutlich gemacht, wie sie sich den Austritt aus der EU und die Zeit danach genau vorstellt. Damit hat die Ungewissheit erst einmal ein Ende und die Premierministerin wird wohl auch ihren Spitznamen „Theresa Maybe“ wieder los, der bereits ob ihrer bislang vagen Äußerungen zum Brexit die Runde machte.

Der Brexit wird hart
In den Unternehmen in London sieht man es positiv, dass sich der Nebel ein wenig lichtet. „Es war an der Zeit für eine klare Position. Jetzt werden erste Verhandlungsgrundlagen geschaffen und Positionen bezogen, um Druck aufzubauen“, erklärt Juristin Christiane Conrads. Sie berät in der Kanzlei Lupp + Partner Mandanten in Großbritannien und Deutschland und berichtet von einer entspannten, aber zugleich wachsamen Stimmung in London. „Das Motto der Unternehmen ist, wach zu sein und genau zu beobachten, um gegebenenfalls schnell reagieren zu können.“

Schließlich könnte Einiges von May‘s Zwölf-Punkte-Liste Folgen für die Geschäfte der Unternehmen haben. Denn am Ende soll es einen harten Brexit geben. Keine assoziierte Mitgliedschaft – also eine „EU-light“ – nach dem Vorbild von Norwegen oder der Schweiz. Großbritannien wird den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen. Urteile des EuGH sollen in Großbritannien nicht mehr gelten.

Regulatorische Benefits und Chancen für Anleger
Der Finanzstandort London sieht sich davon nicht grundsätzlich gefährdet. „UK will sicherlich für Investoren interessant bleiben. Gut möglich, dass deshalb Nachteile durch den Austritt zum Beispiel durch Benefits bei der Regulierung ausgeglichen werden“, erklärt Juristin Conrads. Bislang beobachtet sie durchaus ein gesteigertes Interesse britischer Investoren an Deutschland. Umgekehrt sei es etwas abgekühlt, aber keineswegs zum Erliegen gekommen.

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Timothy Horrocks: "Die Preiskorrekturen könnten eine Chance für Anleger sein" (Bild: TH Real Estate)


Dennoch zeigt der britische Immobilienmarkt deutliche Bremsspuren. „Auf dem britischen Immobilienmarkt herrscht seit der Brexit-Abstimmung im Juni 2016 Verunsicherung. Dies hat sich durch die Ankündigungen der Regierung, einen kompletten Austritt aus der EU anzustreben, noch verstärkt", schildert Timothy Horrocks, Head of Continental Europe bei TH Real Estate. "Die Preise am gewerblichen Immobilienmarkt haben bereits korrigiert und wir erwarten weitere Preisrückgänge im Verlauf dieses Jahres, insbesondere im Londoner Bürosektor."

Eine kurz- und mittelfristige Prognose sei problematisch, "aber Großbritannien ist mit Abstand der größte, liquideste und internationalste Markt Europas – daran wird auch ein harter Brexit fundamental nichts ändern", ist sich Horrocks sicher. Die Preiskorrekturen zusammen mit den stark gefallenen Pfund könnten daher eine Chance für Anleger sein.

Ruhe an der HR-Front
Laut Alice Fontana von Bohill Partners in London könne von einer ängstlichen oder gar panischen Haltung in London keine Rede sein. Bohill vermittelt Top-Kräfte unter anderem für Investment- und Immobilienunternehmen. "Es gibt keine Rekrutierungsmandate, die wegen des Brexit auf Eis gelegt wurden und mir ist auch nicht bekannt, dass einer unserer Kunden planen würde, Teams aus London abzuziehen", sagt sie.

Momentan gehe es für die Unternehmen vor allen Dingen darum, mit der herrschenden Unsicherheit umzugehen und "intern sehr offen zu kommunizieren". Schließlich sei eine der Ängste von Mitarbeitern kontinentaleuropäischer Unternehmen, dass ihre Arbeitgeber Teams in ihre jeweiligen Heimatländer abziehen könnten. Sollte es tatsächlich irgendwann solche Entscheidungen geben, würden sie wohl vor allem den Back-Office-Bereich betreffen und nicht die erste Reihe der Manager.

In London bemüht man sich, den Brexit auch als Chance zu begreifen. Das Motto lautet „Uncertainty is the new certainty“. Diese Einstellung wird wohl noch länger tragen müssen. Denn auch wenn die Pläne zum Brexit konkreter werden, im Detail wird Vieles noch lange „uncertain“ bleiben. Oder wie Alice Fontana sagt: "Warten wir mal ab, bis in zwei Jahren alles schwarz auf weiß ausverhandelt sein wird."

Autor: Markus Gerharz

zuletzt editiert am 31.05.2021