aus Pflanzen zusammengesetztes Bild von Hochhäusern
Kai Wolfram: "Wir alle sollten unseren Beitrag für mehr Nachhaltigkeit leisten" (Foto: iStock.com/Petmal) (Quelle: istock)

Nachhaltigkeit & ESG 2020-10-26T00:00:00Z Alle reden von ESG, doch kaum einer macht was

"Vor uns stehen gewaltige Aufgaben." Ein Kommentar von Kai Wolfram, Geschäftsführender Gesellschafter der Engel & Völkers Investment Consulting.

Bis 2050 soll die Europäische Union klimaneutral sein. Die Immobilienwirtschaft gilt als Schlüssel für die Erreichung des Null-Emissionsziels: Gebäude sind in Deutschland für rund 40 Prozent des Endenergieverbrauchs und für über 30 Prozent der CO₂-Emissionen verantwortlich. Unsere Branche muss sich bewegen – keine Frage.

Nicht zuletzt aufgrund des gesellschaftlichen Wandels, auch getrieben durch die globale Fridays-for-Future-Bewegung, findet zurzeit kaum eine Fachkonferenz statt, auf der nicht über ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance) diskutiert wird - analog wie digital. Zur aktuellen Wahrheit in unserer Branche gehört aber auch: Noch sind die wenigsten bereit, Zeit und vor allem Geld in die Erfüllung von ESG-Kriterien zu investieren. Nachhaltigkeit ja, aber bitte ohne zusätzliche Kosten. Gerade erst haben sich die Alstria-Aktionäre gegen Klima-Investitionen entschieden. Sie wollten lieber die volle Auszahlung der in Aussicht gestellten Dividende.

Was sagt uns das? Der Druck auf die Immobilienwirtschaft ist flächendeckend noch nicht groß genug. Noch achten nur die wenigsten Investoren bei Immobilienankäufen oder der Bewirtschaftung ihrer Objekte auf nachhaltige Faktoren. In den kommenden Jahren wird sich das allerdings ändern. Ändern müssen.

Denn die EU-Kommission will Europa zum Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit machen. Im Zuge der ESG-Regulierung der Finanzbranche - Stichworte sind hier unter anderem die neue Offenlegungs- und die Taxonomie-Verordnung – wird sich unserer Branche mehr bewegen müssen. Auch die Nachhaltigkeitsvorgaben für die Immobilienbranche werden verschärft, auf Finanzierungs- wie auch auf Asset-Ebene. Erste Maßnahmen sollen ab März 2021 in Kraft treten, etwa die Anforderung an Kapitalverwaltungsgesellschaften, umfassende Informationen über ESG im Unternehmen sowie bei ihren Fonds zu veröffentlichen. Spätestens dann wird Nachhaltigkeit für viele verpflichtend.

Ansatzpunkte für die Ausgestaltung eines Beitrags für eine nachhaltige Zukunft geben auch die 17 Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen, die im Rahmen der Agenda 2030 verabschiedet wurden. Auf den ersten Blick abstrakt, ergeben sich aus Zielen wie „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ oder „Nachhaltige/r Konsum und Produktion“ aber viele Möglichkeiten, um unter Nutzung neuer Technologien neu zu denken und auf mehr Nachhaltigkeit umzustellen – auf der Ebene einzelner Geschäftsmodelle oder aber mit Blick auf branchenweite Standards.

Energieeffizienz steht im Vordergrund

18 Millionen Wohngebäude gibt es in Deutschland. Rund 70 Prozent davon wurden vor 1980 errichtet. Sanierung heißt das Gebot der Stunde, um Energieeffizienz und so letztlich auch die von der EU und der Bundesregierung vorgegebenen Klimaziele zu erreichen. Tatsächlich zielen die meisten derzeitigen ESG-Bemühungen unserer Branche in Richtung einer Verbesserung der Energieverbrauchszahlen.

Mehr Klimaschutz beim Wohnen dürfe aber nicht mit Mieterhöhungen einhergehen, fordert da auch schon der GdW. Die Europäische Kommission solle den Green Deal und die Renovierungswelle so ausgestalten, dass Mieter bei energetischen Sanierungen von Einsparungen bei den Energiekosten profitieren und Vermieter beihilfefreie Zuschüsse erhalten.

Vor uns stehen gewaltige Aufgaben. Der Diskussionsbedarf ist enorm. Ohne Regeln wird es nicht funktionieren. Und dennoch sollten die neuen Verordnungen nicht alleine ausschlaggebend sein. Wir alle sollten unseren Beitrag für mehr Nachhaltigkeit leisten – und uns dabei um das „E“ genauso wie um das „S“ und das „G“ bemühen. Das geht nur im Schulterschluss aller Beteiligten.

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Kai Wolfram (Bild: Engel & Völkers Investment Consulting)

Kai Wolfram ist seit Ende 2013 Geschäftsführender Gesellschafter der Engel & Völkers Investment Consulting (EVIC) und hat das Unternehmen mit aufgebaut. Insgesamt verfügt er über mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Immobilienberatung mit Schwerpunkt unter anderem auf Transaktionsmanagement, Refinanzierungen, Restrukturierungen und Immobilienvermarktung.

zuletzt editiert am 31. Mai 2021