Die Immobilienwirtschaft verändert sich in vielen Teilen gerade rasant und tiefgreifend. Eine Reise in Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart der Branche. Von Markus Gerharz
Wenn über Entwicklungen gesprochen wird, dann ist der Blick meist nach vorne gewandt. In der Immobilienwirtschaft heißt das dann: Wie verändern sich die Märkte in den nächsten Jahren? An welchen neuen Rahmenbedingungen müssen Geschäftsmodelle, Produkte und Services ausgerichtet werden? Welche Immobilien verlangen Nutzer und Investoren in Zukunft? Bei der Beantwortung dieser Fragen spielen die häufig zitierten Megatrends eine Hauptrolle. Für den einen sind es fünf, für andere sechs und wieder andere sehen vielleicht nur drei Megatrends, die wesentlichen Einfluss auf die Immobilienwelt von morgen haben.
Neben den großen Linien, gibt es noch etliche kleinere Trends, die Einfluss auf das Produkt Immobilie und die Unternehmen der Branche haben. Wie fasste es Professor Dr. Tobias Just von der Irebs in seinen Thesen zur Zukunft der Immobilienwirtschaft bereits im Jahr 2019 so treffend zusammen? „Trendforscher haben in den letzten Jahrzehnten ganze Trendlandkarten gezeichnet, auf denen eine verwirrende Zahl und Struktur von zum Teil verstärkenden, zum Teil wechselseitig schwächenden kürzer- oder längerfristigen Trends abgebildet werden, die auf die Immobilienwirtschaft einwirken können.“ Zu den Trends, die ohne Frage auf diese Landkarten gehören und die fundamental auf die Branche wirken und weiter wirken werden, gehören Globalisierung und Demografie, Urbanisierung, Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Je nach Lesart sicher auch noch die Regulierung.
Die Treiber der zukünftigen Entwicklung
Die beiden stärksten Kräfte sind in all ihren Spielarten die Digitalisierung und die Nachhaltigkeit. Es ist noch keine fünf Jahre her, da diskutierten wir als Verlag noch darüber, ob eine Veranstaltung zum Thema ‚Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft‘ auf das nötige Interesse bei Teilnehmern und Unternehmen stoßen würde. Wir haben damals zu Recht die Frage mit Ja beantwortet. Heute erscheinen die damaligen Zweifel fast naiv, denn gefühlt jedes (digitale) Immobilien-Event trägt die drei Buchstaben ESG im Titel oder widmet ihnen zumindest einen Teil des Programms. Nachhaltigkeit ist vom Nice-to-have-Marketing zum fundamentalen Treiber der Immobilienwirtschaft geworden. Diese Entwicklung und ihre Dynamik hat letztlich der große gesellschaftliche Druck möglich gemacht – man könnte auch sagen: erzwungen.
Die Vorgaben der Regulatorik und die klar formulierten Forderungen großer Kapitalsammelstellen wie Blackrock stärkten der Bewegung den Rücken und führten zu einem Paradigmenwechsel. Kapital bekommt in Zukunft nur noch, wer nachhaltig ist und handelt. Das gilt in der Immobilienwelt für Projektentwickler bei der Suche nach Fremdkapital ebenso wie für Asset- und Fondsmanager bei der Auswahl ihrer Mieter und Investmentobjekte.
Einen nicht minder großen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Immobilienbranche. Hier scheinen die Eindrücke der Pandemie einen dringend notwendigen zweiten Schub ausgelöst zu haben. Denn nachdem das Thema Digitalisierung rund um das Jahr 2015 im breiten Markt seinen großen Aufschlag hatte, ebbte die Dynamik in der Folge doch deutlich ab und fast schien es, als wäre das Momentum verpufft. Die digitalen Bemühungen waren in den Unternehmen zunächst meist strategisch von oben vorgegeben. Mittlerweile erfolgt die Entwicklung bottom-up aus den Fachabteilungen heraus ins operative Geschäft und tief in die Prozesse hinein. Heute ist deutlicher als je zuvor, dass Digitalisierung und Nachhaltigkeit sich ergänzen und beide die Immobilienwirtschaft von Grund auf verändern. Die Digitalisierung ermöglicht Effizienzgewinne, etwa in Form wesentlich schnellerer Markt- und Objektanalysen. Gut möglich, dass es dadurch mehr Transaktionen und in der Folge auch schnellere Reaktionen vom Markt geben wird. Schnellere Daten, mehr Transaktionen, volatilere und kürzere Zyklen? Das wird die Zukunft zeigen.
Der Blick zurück kann helfen
Wie zu Beginn geschrieben, sind Wandel und Entwicklung niemals nur in eine Richtung gewandt. Während der Blick nach vorne Wahrscheinlichkeiten und Mutmaßungen bemühen muss, kann der Blick in den Rückspiegel Definitives bieten. Statt Unsicherheiten liefert er Gewissheit. In der Titelstory unseres aktuellen Printmagazins zeigen wir deshalb nicht nur, was die großen und kleinen Themen der Zukunft sein werden, sondern blicken auch zurück. Wir zeigen spannende Statistiken aus den vergangenen 30 Jahren, die zeigen, welche rasante Entwicklung unsere Branche in Teilen genommen hat. Schätzen Sie doch zum Beispiel, wie hoch das von offenen Immobilienpublikumsfonds verwaltete Vermögen 1991 gewesen ist. Heute sind es übrigens 109 Milliarden Euro.
Sich mit vergangenen Entwicklungen zu beschäftigen, kann nicht nur spannend und unterhaltsam sein. Es ist immer auch die Chance, daraus zu lernen. Wer kennt nicht das Zitat „Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten“? Deshalb hat sich unsere Redakteurin Bianca Diehl tief in unsere Archive gegraben und sich auf eine Standort-Reise begeben. Was waren im Jahr 1991 die Prognosen für die folgenden zehn bis 25 Jahre? Welche Projekte und Pläne verfolgten Investoren und Entwickler seinerzeit in den Städten? 30 Jahre später lässt sich eine interessante Erfolgskontrolle durchführen.
Nach dem Abstecher in die Vergangenheit zurück ins Hier und Jetzt. Die Welt – und mit ihr die Immobilienwirtschaft – steckt mitten in einer Transformation. Und die eigentlich für Jahrzehnte gebauten Immobilien müssen darauf ausgerichtet werden. Dabei können schon kleine Veränderungen in technischen oder gesellschaftlichen Rahmenbedingungen das Kartenhaus empfindlich erschüttern. Flexibilität ist das Zauberwort. Wenn sich Nutzungen schneller als bisher verändern, müssen sich die Gebäude entsprechend anpassen lassen.
So wie es für nicht-grüne Immobilien bereits Preisabschläge gibt, wird es das für Gebäude ohne gepflegte Datenbasis bald auch geben. Warum sollte es dann für Immobilien ohne Flexibilität anders sein? Die einen schützen vor möglicher Regulierungsverschärfung, die anderen bieten Effizienz-Vorteile und Potenzial für neue Services. Und die dritten ermöglichen Strukturveränderungen in der Zukunft und bieten somit Investitionssicherheit.
Betrachtet man die Flexibilität von Büroimmobilien, arbeitet sich die aktuelle Debatte gerade an der Homeoffice-Frage ab. Die zugrunde liegende Entwicklung ist die Hybridisierung der Arbeitswelt, und die verändert unser aller Alltag und damit auch die Immobilienwirtschaft grundlegend und viel tiefgreifender als die Frage nach zwei oder drei Tagen Homeoffice in der Woche. Durch mobile Devices, Digitalisierung und schnelles Internet hat hybrides Arbeiten und Leben Einzug gehalten. Und es wird sicherlich in den nächsten Jahrzehnten spannend sein, die Folgen zu beobachten: die Stärkung regionaler Wohnungsmärkte etwa und zugleich die Entspannung in den überhitzten Kernstädten. Aber auch über immobilienwirtschaftliche Belange hinaus hat das Thema Relevanz. Was bedeutet hybrides Leben und Arbeiten zum Beispiel für die Produktivität, die Gesundheit der Menschen und für die Gesellschaft als Ganzes? Eine Entwicklung hat kein Ende. Man steckt immer mittendrin. Aktuell scheint sie besonders rasant und tiefgreifend zu sein. Mehr dazu lesen Sie in der Juni-Ausgabe von immobilienmanager.
Ein Beitrag von Markus Gerharz.