Fassade eines mehrstöckigen Hauses von unten fotografiert
Der Community Campus in Bochum. (Quelle: Daiwa House Modular Europe)

Projekte 2023-05-19T06:54:00Z "Ein Katalysator für den Modulbau"

Nicht nur die Politik setzt auf serielles und modulares Bauen, um den Wohnungsneubau zu beschleunigen. Eine Reihe von Playern fährt ihre Fertigungskapazitäten hoch und bringt sich mit weiterentwickelten und neuen Konzepten in Stellung. Von Jörn Pestlin

Auf den zahllosen Lego-Baustellen in den Kinderzimmern der Republik ist es längst Alltag, dort, wo richtige Häuser oder Büros gebaut werden, hingegen noch immer die Ausnahme: serielles und modulares Bauen. Obwohl das Bauen mit industriell vorgefertigten Modulen längst keine neue Erfindung mehr ist und dessen Vorteile in zahllosen Debatten über die Beschleunigung des Wohnungsneubaus gern betont werden, fristet diese Baumethode hierzulande noch immer ein Nischendasein. Wie hoch ihr Marktanteil tatsächlich ist, lässt sich nur schätzen, da Statistiken fehlen und der Begriff modulares Bauen unterschiedlich verwendet wird. Verschiedene Branchenexperten nennen eine Zahl von vier bis fünf Prozent.

Welche Potenziale im heutigen Modulbau stecken, lässt sich am Sitz der deutschen Niederlassung von Daiwa House Modular Europe in Bochum begutachten. Im Entwicklungsgebiet „Seven Stones“, nahe der Ruhr-Universität, hat der Modulbauspezialist mit niederländischen und japanischen Wurzeln den „Community-Campus“ mit 737 Apartments für Studierende aufgestapelt. Die beiden miteinander verbundenen Türme mit zehn und zwölf Geschossen sind laut Daiwa House die bislang höchsten modularen Wohngebäude in Europa. Tiefgarage, Fahrstuhlschächte und die Treppenhäuser des u-förmigen Gebäudekomplexes wurden noch herkömmlich vor Ort betoniert.

Doppelt so schnell bauen

Ein Kran hat dann die in den niederländischen Daiwa-House-Werken aus Stahlrahmen und Beton gefertigten und per Tieflader angelieferten Apartmentmodule im 30-Minuten-Takt übereinandergestapelt. Die 20 Quadratmeter großen Apartments wurden zu 90 Prozent in der Fabrik seriell vorgefertigt, komplett mit allen Installationen, einschließlich Küche und Bad. Im Vergleich mit einem konventionell errichteten Gebäude war man in der Hälfte der Bauzeit fertig.

Neben Effizienz und Qualität durch einen hohen Digitalisierungs- und Automatisierungsgrad des Fertigungsprozesses betont Daiwa House auch die Zirkularität ihrer Module. Hat das Gebäude das Ende seiner Nutzungszeit erreicht, werde es nicht einfach abgerissen, sondern zurückgebaut. Die einzelnen Module können nach einer Generalüberholung wiederverwendet werden. „Der Kreislauf ist dann eigentlich umgekehrt. Wir stellen die Module nach der Lebensnutzungsphase wieder auf den Lkw und bringen sie zurück ins Werk“, erklärt Olaf Bade, Deutschland-Chef von Daiwa House. „Wir haben eine Art Pfand auf das Modul. Der Bauherr bekommt am Ende der Nutzungsphase noch Geld von uns ausbezahlt.“

Größte Industrieansiedlung seit Tesla

Bei dem Bochumer Studierendenheim soll es für Daiwa House nicht bleiben. Das bisher vor allem in Benelux aktive Unternehmen will den Modulbau in Deutschland forcieren und hat sich dafür die Capital Bay Group als Joint-Venture-Partner ins Boot geholt. Gemeinsam wolle man im Berliner Umland eine „Gigafactory“ betreiben, erklärt Oliver Müller, der bei Capital Bay das operative Geschäft verantwortet und für die Standortsuche des geplanten Werks zuständig ist. Und anscheinend ist er fündig geworden.

Die Märkische Oderzeitung hat im Dezember über den Verkauf eines knapp 15 Hektar umfassenden Industrieareals inklusive Bürogebäude und Werkhallen an Daiwa House im brandenburgischen Fürstenwalde, keine 40 Kilometer östlich der Berliner Stadtgrenze, berichtet. Die größte Industrieansiedlung im Landkreis Oder-Spree seit Tesla bahne sich an, heißt es in dem Artikel. Müller möchte diese Meldung nicht kommentieren. So viel aber sei sicher: „Wir werden 2023 die Produktion starten.“ Für die angepeilte Produktionskapazität von 50.000 Modulen pro Jahr wäre ein Areal von 15 Hektar jedoch zu klein, deutet Müller an.

Die in dem neuen Werk vom Band laufenden Gebäudemodule sollen bei Projektentwicklungen der in der 360 Operator GmbH gebündelten Betreibermarken von Capital Bay zum Einsatz kommen, aber auch Drittkunden angeboten werden. „Unsere Module eignen sich sowohl für alle Wohnformen, auch für Microapartments und Senior-Living-Projekte“, erläutert George Salden, CEO von Capital Bay. Aber auch in der Gesundheitsbranche gebe es eine signifikante Nachfrage.

Bis zu 375 Quadratmeter Modulfläche am Tag

Auch andere Player bauen neue Werke für die Modulfertigung: Bereits Ende vergangenen Jahres hat die polnische Erbud-Gruppe bei Torun ein Werk für Holzmodule in Betrieb genommen. Mit ihrer Tochter Mod21 will sie den deutschen Markt bedienen. Dank einer „fast vollständig automatisierten Produktion“ können in dem Mod21-Werk pro Tag bis zu 375 Quadratmeter Modulfläche vom Band laufen.

In einer ähnlichen Größenordnung plant auch Timpla by Renggli seine neue Fertigungslinie. Seit Herbst vergangenen Jahres errichtet der Holzbauer das nach Firmenangabe größte Holzmodulwerk Deutschlands im Technologie- und Gewerbepark Eberswalde – wie auch der neue Daiwa-Standort im Berliner Umland gelegen. Das aus der Schweiz stammende Unternehmen will hier ab Ende 2023 jährlich bis zu 2.000 Holzmodule – in erster Linie für den mehrgeschossigen Wohnungsbau – sowie Wandelemente produzieren. Aber auch Lösungen für Wohnheime, Hotels, Bettenetagen von Krankenhäusern, Kitas oder Schulen seien möglich, erklärt Timpla-Pressesprecher Sven Schwartz.

Digitalisierung im Fokus

Die Planung und Fertigung der bis zu 13 Meter langen, vier Meter breiten und 3,6 Meter hohen Module sei zu einem hohen Maße von Digitalisierung, Automatisierung und Robotik getragen, erklärt Schwartz. Digitalisierung bedeute aber weit mehr als nur den Einsatz von Robotern. „Wichtiger ist für uns die tiefe digitale Integration aller Phasen eines Projektes.“

Das Thema Digitalisierung steht auch bei der Semodu AG im Fokus. Das Unternehmen aus Stuttgart, das sich als „Methodengeber des modularen Bauens“ versteht, hat ein digitales Planungstool entwickelt, dass ein Dilemma des modularen Bauens auflöst. „Für ein gutes modulares Produkt war es bisher zwingend erforderlich, sich sehr früh in der Planungsphase auf eine Technologie und einen bestimmten Modulbauer festzulegen“, erklärt Semodu-Vorstand Frank Talmon l’Armée. „Mit allen daraus resultierenden Abhängigkeiten.“ Das von Semodu entwickelte Planungstool erlaube es, unterschiedliche Technologieszenarien durchzuspielen und so die beste Lösung für das Endprodukt zu finden.

Semodu wirbt damit, digitale Produkte nahtlos in das modulare Baukonzept zu integrieren. Dafür hat das Unternehmen auf Basis der gängigen Betriebssysteme ein spezielles Gebäudebetriebssystem entwickelt. Im Unterschied zu vielen anderen Smarthome-Systemen sei dies aber keine Insellösung, unterstreicht Talmon l’Armée. Für etwa 80 Prozent der derzeit am Markt verfügbaren Geräte biete es Schnittstellen und eröffne so den Weg für kostengünstigere Lösungen. So sei beispielsweise die Nutzung einer Webcam und eines Tablets deutlich billiger als die Installation einer klassischen Videogegensprechanlage. Erst das modulare Bauen mit seiner hohen Genauigkeit und den kontrollierten Fertigungsbedingungen biete die Voraussetzungen für die Integration digitaler Produkte und Lifestylekonzepte, meint Talmon l’Armée.

zuletzt editiert am 28. März 2023