Während der Stuttgarter Industrie- und Logistikimmobilienmarkt 2022 mit einem Flächenumsatz von 316.000 Quadratmetern ein Spitzenjahr erzielte, bleibt er im laufenden Jahr von den deutschlandweiten und internationalen Veränderungen nicht verschont. Die Schlagzahl der Neuerungen hat wesentlich an Fahrt aufgenommen. Von Joel Adam
Während der Covid-19-Pandemie war die Logistik der Retter, um die Bevölkerung mit allen lebensnotwendigen Waren zu versorgen. Ein Jahr später sieht sich die Branche mit einer erhöhten Lkw-Maut und deutlichen Mietpreissteigerungen konfrontiert.
Der E-Commerce als Grundversorger erzielte in Pandemiezeiten große Wachstumsraten, da immer mehr Menschen online bestellten. Jetzt schlägt die Kaufzurückhaltung der Endkonsumenten bei Mode, Hobby und Freizeit sowie Unterhaltungselektronik durch.
Aufgrund der Lieferkettenunterbrechung wurde Nearshoring prophezeit und dass Produktionsunternehmen verstärkt in Deutschland wieder Fertigungsstätten errichten. Stattdessen zeigt sich heute eine allgemeine Zurückhaltung bei den Unternehmen, was ihre strategische Neuausrichtung betrifft. Man flüchtet aufgrund steigender Zinsen aus den Verbindlichkeiten und bemüht sich um Rückzahlungen. Zudem treffen Projektentwickler, Investoren und Nutzer die weiteren Zinserhöhungen. Ende März lagen die Bauzinsen je nach Laufzeit und Beleihung zwischen 3,5 und 4,5 Prozent. In der Folge wurden Baustarts verzögert und Baugenehmigungen brachen ein. Für begonnene Projekte wurden Brückenfinanzierungen gesucht. Gleichzeitig erwarten Finanzierer höhere Eigenkapitalquoten. Hinzu kommen die gestiegenen Baukosten.
Projektbezogene Flächen werden gesucht
Das erste Quartal zählt historisch immer zu den eher ruhigeren. Während in anderen Bundesländern zugleich auch die Nachfrage nach Industrie- und Logistikflächen sank, ist sie im Großraum Stuttgart nach wie vor vorhanden.
Vorrangig werden projektbezogene Flächen gesucht. Sei es, weil Logistik- und Speditionsdienstleister einen neuen Kontrakt gewonnen haben oder einen bestehenden Vertrag mit einem Kunden erweitern. Oder weil die strategische Umsetzung von Plänen aufgrund der derzeitigen Situation verschoben wird.
Flächengesuche wie diese führen dann zur zügigen Umsetzung, geeignete verfügbare Immobilien oder Kompromissbereitschaft bezüglich der Lage und der Ausstattungsqualität der Objekte vorausgesetzt. Zwischen Abschluss und Mietbeginn liegen in der Regel weniger als sechs Monate.
Ein gutes Beispiel hierfür war der schnelle Vertragsabschluss mit dem Elektroautohersteller Tesla, der Ende 2022 eine Bestandsimmobilie in Holzgerlingen südlich von Stuttgart bezogen hat und diesen Standort als Auslieferungshub nutzt. Gemeinsam mit den Großabschlüssen durch Rewe und Heyne Büromarkt katapultierte der Vertragsabschluss den Mikrostandort Böblingen auf Platz eins im Regionen-Ranking.
Langfristige Unternehmensstrategien auf Eis gelegt
Zum Erliegen gekommen sind Anfragen, die sich auf Expansionspläne aus der eigenen Unternehmensstrategie heraus beziehen. Die klassische Situation von Unternehmen, die sich im Rahmen ihres avisierten Wachstums oder der Optimierung mit ihrem Immobilienbedarf in den kommenden zwei bis drei Jahren beschäftigen, tritt derzeit seltener ein.
Damit fallen auch sogenannte „Schaulustige“ weg, die in der Vergangenheit viele Ideen und Pläne hatten, die sie dann aber nicht umgesetzt haben. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass die Politik Unternehmen Anreize setzen wird, um den Wegzug von Unternehmen zum Zweck der Kostenersparnis zu stoppen.
Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage tendieren viele Unternehmen zu Mietvertragsverlängerungen. Das ermöglicht ihnen einerseits das Halten von Immobilienflächen in einem nach wie vor angespannten Markt. Andererseits wissen Nutzer, dass es aufgrund der Mietpreissprünge in den letzten Jahren nur noch teurer werden kann.
Projektentwickler in den Bereichen Lager und Logistik geben derzeit keine spekulativen Neubauten in Auftrag, trotz der weiterhin hohen Nachfrage. Löbliche Ausnahmen bilden die Projekte von Garbe in Holzgerlingen (zwei Neubauten mit etwa 30.000 Quadratmetern Hallenfläche), von Familie Layher in Korntal-Münchingen (rund 9.500 Quadratmeter) und von Panattoni in Sindelfingen (12.600 Quadratmeter).
Wassergefährdungsklasse wird zum Must-have
Bestand und Neubau trifft die hohe Nachfrage nach Flächen für wassergefährdende Stoffe gleichermaßen. Galt die Ausstattung mit der Folie zuvor nur als notwendig für die Lagerung von Artikeln aus der Chemie-Branche l, wird die Hallenabdichtung für wassergefährdende Stoffe aufgrund der wachsenden E-Mobilität und der damit verbundenen Gefahrgüter wie Batterien zunehmend essenziell bei der Ausstattung.
Wird die Ausstattung gleich beim Neubau integriert, erhöht sie die Drittverwendungsfähigkeit einer Immobilie enorm. Wer dieses nicht berücksichtigt, muss heute und zukünftig schnell auf einen potenziellen namhaften Langzeitmieter verzichten.
Ähnliches gilt für ESG-Faktoren wie das Installieren von Solaranlagen auf Dächern und an Wänden sowie das Nutzen effizienter Beleuchtungs- und Heizungssysteme inklusiver intelligenter Steuerungssysteme.
Bei den Mietpreisen setzte sich 2022 der Trend der Vorjahre fort. Der Logistik- und Industriemarkt Stuttgart erlebte eine deutliche Steigerung von elf Prozent auf den neuen Höchstwert der Spitzenmiete von 7,80 Euro pro Quadratmeter und von 15 Prozent auf 6,30 Euro pro Quadratmeter bei der Durchschnittsmiete. Während an anderen Top-Standorten in Deutschland eher von stagnierenden Mieten ausgegangen wird, ist es durchaus möglich, dass die Mietpreise in der Stuttgarter Metropolregion angespannt bleiben. Vor allem, wenn sich der Flächenmangel, die Baupreise sowie die Zinssituation nicht verändern werden.